Das liebe Geld
»Mit Henrik Ibsens ›Ein Volksfeind‹ gibt das Göttinger DT ein hervorragend inszeniertes Lehrstück darüber, wie die Moral auf den Hund kommt. Es mahnt besonders die publizierende Zunft, ihre Standards gründlich zu reflektieren … Sich für einen der nächsten Spieltermine Karten zu sichern, lohnt sich auf jeden Fall.« Stefan Walfort, litlog 14.1.2019
Der Volksfeind als ein feines Psychogramm am Göttinger DT
»Es scheint aktueller denn je. Ein Arzt deckt einen Umweltskandal auf und die Mächtigen wollen ihn vertuschen … Die Inszenierung von Gerhard Willert am Deutschen Theater in Göttingen konzentriert sich auf die Handelnden und nicht auf den Skandal. Darin liegt die Stärke und deswegen ist dieser Volksfeind auch nach 135 Jahren mehr als aktuell und weist über die Gegenwart hinaus … Gerhard Willert schaut unter die Oberfläche … In diesem kleinstädtischen Kosmos aus 9 Akteuren skizziert er jede Person fein und nachvollziehbar … Das Bühnenbild von Alexandra Pitz liefert die passende Arena für das Kesseltreiben … Die Musik von Christoph Coburger wirkt als Vorbereiter der Entscheidungen. Aus dem minimalen Klangteppich wird ein rhythmisches Klopfen. Da setzt die Musik aus, die entscheidenden Worte fallen, und die Stille wirkt nach. Ein überzeugendes Konzept.
Tomas Stockmann ist nicht nur im Besitz der einzig selig machenden Wahrheit, in seinem Idealismus steckt auch jede Menge Egozentrismus und vor allem Sucht nach Genugtuung. Es geht ihm nicht nur um die Sache, sondern auch um seine Person und um Gutmachung für jahrelange Schmähungen. Gabriel von Berlepsch macht diese Zwiespältigkeit erlebbar … Er instrumentiert die Wahrheit und stürzt wie Ikarus. Das kann von Berlepsch verdeutlichen … Peter Stockmann ist hierzu der Gegenentwurf. Die Euphorie seines Bruders konterkariert er mit Besonnenheit. Marco Matthes agiert mit einer Stimme in der mittleren Lage und mit einer sparsamen Gestik. Seine Hände bleiben stets in der Nähe des Torso und die Mimik im kontrollierten Bereich. Damit macht Matthes deutlich, dass Peter Stockmann eben die Kontrolle behält. In den entscheidenden Szenen senkt sich seine Stimme auf das Zuflüstern des Verräters, gewissermaßen ein Jago im Kostüm des Biedermannes. Das ist vielleicht die reifste Leistung in dieser Aufführung. Wenn er noch argumentiert, dass die Allgemeinheit die Verluste der Unternehmer tragen müssen, dann ist diese Inszenierung in der Jetztzeit angekommen. Hart an der Grenze zur Karikatur hat Gregor Schleuning seinen Druckereibesitzer Aslaksen als Prototyp des Kleinbürgers angelegt. Da ist immer wieder das genüssliche Streichen über den eigenen Schnurrbart und die joviale, leicht geneigte Körperhaltung. Das Ganze ist so eingängig, dass das Publikum schon beim dritten Mal vorausahnt, dass Aslaksen zur Mäßigung aufruft. Komplettiert wird das Feld der Kleinbürger mit den Redakteuren Billing und Hovstadt … Gerade Florian Donath macht dieses zweifelhafte Verhalten begreifbar. Er fällt nicht nur wie ein Kartenhaus zusammen, auch seine Stimme schafft den Bruch vom Revoluzzer zum Duckmäuser ohne Verlust … Motive und Persönlichkeiten der Kontrahenten bloßgelegt, damit hat Willert mit seinem Volksfeind über die Zeit und über das Thema hinausgewiesen. Deswegen ist diese Inszenierung so sehenswert.« Thomas Kügler, Harzerkritiker blogspot.de, 30.12.2018
Ohne Macht kein Recht
»Die Leistung des Ensembles ist gerade wegen ihrer Schnörkellosigkeit bemerkenswert und wird gerade daher der Vorlage in besonderer Weise gerecht … Die beiden Zeitungsleute Hovstadt (Christoph Türkay) und Billing (Florian Donath – auch er komödiantisch begabt) füllen ihre Rolle so aus, dass sie heutzutage mit dem Schimpfwort ›Lügenpresse‹ bedacht werden würden. Und Gabriel von Berlepsch (Tomas Stockmann) gibt überzeugend den (fast) unermüdlichen Kämpfer für die Wahrheit, der an seiner zunehmend aussichtsloseren Situation derart verzweifelt, dass er der in seiner Sicht in ihrer Mehrheit dummen Menschheit in einem Wutausbruch die Auslöschung wünscht – eine gebrochene Lichtgestalt. Intensiv und brutal gestaltet Nikolaus Kühn als Katrines Vater Morten Kiil seine Rolle, als er die prekäre Situation des Heilbades für billige Aktienkäufe ausnützt und so die Glaubwürdigkeit seines Schwiegersohns in der Öffentlichkeit aus schierem Eigennutz vollständig vernichtet. Zusammengehalten wird das komplexe Zusammenspiel von Alexandra Pitz‘ überragendem Bühnenbild … Der Begeisterung des Premierenpublikums konnte dies jedoch keinen Abbruch tun. Der Abend endete mit sehr langem Beifall.« Matthias Heinzel, Göttinger Tageblatt 23.12.2018
Ein Volksfeind
»Großartige Stücke brauchen oft keine großen Mittel und so ist die Entscheidung des Kreativteams, die technischen Mittel nicht überhand nehmen zu lassen, sondern den Fokus auf das Schauspiel zu legen, eine goldrichtige. Die große Drehbühne, entworfen von Alexandra Pitz, ist ein schönes Symbolbild dafür, wie sich die Situation und gesellschaftliche Position, in der sich Tomas Stockmann befindet, immer wieder ändert, stets im Fluss ist … Insgesamt vertraut die Aufführung … den Darsteller*innen. Und das völlig zu Recht: Zu sehen ist an diesem Abend große Schauspielkunst. Nikolaus Kühn überzeugt als Schwiegervater mit eigenen Interessen, Judith Strößenreuter findet als Tomas‘ Frau den richtigen Grad zwischen Kraft und leiseren Tönen. Christoph Türkay spielt den Zeitungsredakteur Hovstad als testosterongesteuerten Opportunisten, Katharina Müller die Petra mit der richtigen Portion Stolz und Eigenständigkeit. Marco Matthes ist als verschlagener, doch auch angesehener Peter Stockmann gut besetzt. Ein Ereignis sind Gregor Schleuning, der den Aslaksen als wurmgleichen Kleinbürger herausragend umsetzt, und Florian Donath, der dem Billing höchst amüsante große und kleine Macken verpasst und so ganz mit seiner Figur verschmilzt. Gabriel von Berlepsch schließlich ist in dieser Inszenierung ein Wissenschaftlicher, der durch seinen positiven Idealismus, aber auch seine Naivität auffällt. Von Berlepsch vermag jede Farbe auf der Gefühlspalette derart intensiv zu spielen, dass einem beim Zusehen Schauer übergehen. Eine Inszenierung … die einem in jeder Hinsicht grandiosen Schauspiel seinen verdienten Raum lässt. Begeisterter, lang anhaltender Applaus ist der Beweis, dass der Göttinger ›Volksfeind‹ das Zeug zu einem echten Publikumsrenner hat.« Marcel Lorenz, unddasleben.wordpress.com 23.12.2018
Ein Einzelkämpfer nimmt es mit der Macht auf
»Ibsens 1882 entstandenes Schauspiel mutet immer noch erschreckend aktuell an, schon allein mit Blick auf all die Politikerstatements und die inszenierten Positionskämpfe um Meinungen und Mehrheiten im täglichen Nachrichtenoutput. Auch in diesem Sinne macht dieser Theaterabend sein Publikum hellhörig für einen demokratischen Diskurs um Verhandlungs- und Entscheidungsspielräume, der dringend Verstärkung braucht. Von couragierten Ruhestörern und vor allem von Querdenkern, die die Verhältnisse immer wieder in Frage stellen.« Tina Fibiger, Kulturbüro 28.12.2018
Die Einsamkeit des Aufklärers
»Gabriel von Berlepsch legt in gewohnt souveräner Personenzeichnung seinen Tomas Stockmann von Anfang an als Typen an, der sein Image aufpolieren und hauptsächlich aus dieser Motivation heraus aufklären will. Das Wohl der Menschen steht gegenüber der Aussicht auf Ruhm hintan. Die Zähne siegesgewiss gefletscht wie eine Las-Vegas-Showgröße, fantasiert er sich egogeil in seine Jubelfantasien hinein.« Bettina Fraschke, HNA 24.12.2018