Hohler Kern der Macht
»Christoph Mehler zeigt Shakespeares mörderischen Klassiker radikal reduziert … in Göttingen bildet ein roter, die blutige Tyrannis symbolisierender Vorhang den Hintergrund. Immer wieder wird er exorbitant aufgebläht – zur gewaltigen Geschwulst, die den ansonsten schwarzen Bühnenraum ausfüllt, die ungezügelte Ausweitung der Schreckensherrschaft hervorragend versinnbildlicht und zugleich die Frage aufwirft, ob ihr Zentrum tatsächlich derart substanzlos ist, wie das der ballonartige Vorhang, der die Bühne überwölbt, nahelegt. Mehler nutzt den Vorhang zudem, um facettenreich die Szenen in Shakespeares Tragödie anzudeuten … Auch die zahlreichen Toten verschwinden immer wieder darunter oder werden in das rote Tuch eingewickelt. Das sorgt für einfache wie eindringliche Bilder, die durch die Kostüme, die ebenfalls Jennifer Hörr gestaltet hat, kontrastiert werden: Elisabethanische Halskrausen und Pluderhosen kombiniert sie mit langen Unterhosen, Unterhemden und langhaarigen Zottelperücken. Derart ausstaffiert tobt und schleicht etwa Volker Muthmann als Macbeth wie ein machtgeiler Iggy Pop mit Krone unter wie vor dem roten Vorhang. Die immer wieder neu entstehenden Bilder faszinieren dabei besonders, weil sie die Dynamik der Handlung und die psychische Deformation des Titelhelden wie von Lady Macbeth (Judith Strößenreuter) veranschaulichen … Die Inszenierung wirkt auf allen Ebenen ungemein konzentriert … Neben den Macbeths hat allein Gabriel von Berlepsch als übertrieben naiver und liebestoller Banquo eine Einzelrolle. Den notwendigen Rest (Hexen, Mörder und die erforderlichen schottischen Adeligen) meistern Florian Donath, Daniel Mühe und Christoph Türkay großartig.
Mehler lässt die Schauspieler die Übersetzung von Thomas Brasch oft aggressiv sprechen, manchmal lockert er sie mit kleinen Wortspielchen auf und dehnt die Betonungen. Das korrespondiert sehr gut damit, dass die Übersetzung eh vergleichsweise stark am Gegenwartsdeutsch orientiert ist und sich erkennbar von der klassischen Übersetzung von Dorothea Tieck abhebt. Nur Strößenreuter als Lady Macbeth akzentuiert ihre Verse nicht nur, sondern betont sie zudem, indem sie die Tonhöhe stark variiert … Mehler zeigt die grundlegenden Mechanismen der Macht, ihres Erhalts und – ja – ihres letzlich substanzlosen Kerns.« Kai Bremer, www.nachtkritik.de 13.4.2019
Machtgeilheit erzeugt Monster
»Das DT zeigt eine knallige, verstörend psychologische und großartig gespielte Inszenierung von William Shakespeares schottischer Tragödie … Mit einer äußerst intensiven, teilweise aber auch etwas albernen Inszenierung von Christoph Mehler bringt das Deutsche Theater Göttingen die Tragödie in 130 pausenlosen Minuten auf die Bühne … Volker Muthmann sieht in ausgewaschenem Aufdruck-Shirt, mit fuchsrotem Langhaar und dunklem Augen-Make-up als Macbeth aus wie ein spilleriger Heavy-Metal-Star. Es ist großartig, wie eindringlich sein Feldherr auf der Schwelle zwischen Verdruckstheit und Größenwahn balanciert. Von Anfang an lässt er einen Tick Überforderung mitschwingen. Später, als Macbeth König ist und nicht nur die Krone, sondern auch eine löwenmähnenartige Riesenperücke trägt, wird er vollends zum Getriebenen. Judith Strößenreuter ist eine extrem unheimliche Lady Macbeth, sie wirkt mit ihrer Halbglatze, den aschigen Strähnen und dem schwarz-grauen Make-up wie eine Mischung aus Riff-Raff aus der »Rocky Horror Picture Show« und dem Imperator bei »Star Wars« (Ausstattung: Jennifer Hörr) … Gabriel von Berlepsch spielt Macbeths Vertrauten Banquo wie einen bekifften Gymnasiasten mit ADHS, der einmal auch, vom eigenen Romantiküberschwang überwältigt, ins Publikum klettert, um sich Umarmungen abzuholen. Florian Donath, Christoph Türkay und Daniel Mühe schlüpfen in mehrere Rollen, als König und Königssohn sehen sie mit dicken Pluderhosen aus wie Windelträger, als gedungene Mörder tragen sie Clownsnasen und manchmal sprechen sie wie Neuköllner Ghettogrößen … Kleine textliche Ergänzungen (»Mach dein autogenes Training«) und die poppig-grellen Bilder passen aber insgesamt zum stringent herausgearbeiteten und gespielten Psychohorror.« Bettina Fraschke, HNA-online 15.4.2019
Wie es ihm gefallen hätte
»Heute fangen wir mal mit dem Ende an: Nach Verlassen des Zuschauerraums hört man eine Dame leicht amüsiert sagen: ›Diese Inszenierung hätte Shakespeare sicher gefallen!‹ Damit meint sie vermutlich die grobe, groteske, ja fast comichafte Darstellung der über das Ziel hinausschießenden Inszenierung des Stückes … Erst gegen Ende des Stücks … kann sich der Zuschauer auf einen beeindruckenden Monolog von Macbeth (Volker Muthmann) konzentrieren … Man muss es mal so deutlich sagen: Neben Judith Strößenreuter haben sämtliche Darsteller sich regelrecht den ›Arsch abgespielt‹. Ihnen allen war durch die gesamten zwei Stunden anzumerken, mit wieviel Herzblut sie bei der Sache waren. Zudem ist es erstaunlich, wie von lediglich sechs Personen die vielen Rollenwechsel gleichzeitig getragen, nein, gelebt werden. Wir können nur erahnen, was das auch physisch für Kräfte kosten muss. Auch wenn für manchen die Inszenierung schräg anmuten mag, ein Besuch dieses Klassikers ist dennoch sehr lohnenswert.« Ingrid Rosine Floerke, Scharfer Blick/Kritikerclub 15.4.2019
Göttinger Macbeth in wallendem Rot
»Der geneigte Shakespeare-Freund weiß um den Beginn des Stücks und harrt auf den exaltierten Auftritt der drei Hexen. Müssen sie zwangsläufig weiblich sein? Nein. Drei Kerle machen es auch. Und die machen es gut. Mit dem Hinzukommen der Protagonisten Macbeth und Banquo gerät das Treffen von hiesiger und Anderswelt zu einem bizarren, homoerotischen Kampftanz. Das ist eigenartig. Das ist packend. Vulgär freilich auch. Und es ist zugleich die Einstimmung auf eine Inszenierung, die gespickt ist mit komödiantischen, zuweilen abstrusen Einlagen. Tragödie und Klamauk werden sich im Laufe des Stücks ebenso miteinander drehen wie die Figuren umeinander. Überhaupt wirkt die gesamte Aufführung wie ein Knäuel, beeindruckend untermalt mit dem überdimensionalen roten Stoff, der sich immer wieder und mehr und mehr aufbläht, Wellen aus Rot, Wogen aus Blut begleiten den Strudel ins Verderben, ins Grauen, in das Nichtzurückkönnen hinter die böse Tat … Das Ensemble mit Gabriel von Berlepsch, Florian Donath, Daniel Mühe, Volker Muthmann, Christoph Türkay und Judith Strößenreuter zeigt eine großartige Leistung, da fällt niemand ab. Hohes Niveau. Strößenreuter fügt der Riege aller bisherigen Darstellerinnen der Lady Macbeth aller Zeiten und Bühnen eine besonders eigenwillige, exzentrische Verkörperung hinzu. Volker Muthmann als Macbeth steht diesem Spiel in nichts nach … Das Ganze ist ein Spektakel. Zweifelsohne sehenswert. Es trägt die Handschrift von Christoph Mehler, der Regie führt und von Jennifer Hörr, die für Bühne und Kostüm verantwortlich ist. Untermalt wird die Inszenierung mit Musik von David Rimsky-Korsakow.« Ulrich Meinhard, goettinger-tageblatt.de14.4.2019
Treib deinen Mut bis an die Spitze und wir versagen nicht
»Das vielseitige und doch simple Bühnenbild setzt Shakespeares ›Die Tragödie des Macbeth‹ passend in Szene. Allein durch das Licht und sehr viel Kunstnebel werden auf der Bühne starke Stimmungen erzeugt. Die düstere Grundform des Stückes wird immer wieder von witzigeren Szenen aufgelöst, die nicht selten in einem Chaos enden, welches sich als Stimmungsraum der Figuren deuten lässt. Die Rolle des Banquo (alter Freund und Kriegsgefährte Macbeths), gespielt von Gabriel von Berlepsch, steht im Kontrast zum späteren Königspaar. Im Gegensatz zu diesem ist Banquo als Engelsfigur dargestellt, die an die Liebe und das Gute im Menschen glaubt. Lady Macbeth (Judith Strößenreuter) dagegen treibt ihren unschlüssigen Mann immer tiefer in die Mordaffären, bis es kein Zurück mehr gibt. Die sechs SchauspielerInnen tragen das Geschehen mit sichtbarer Freude bis zum bitteren Ende.« Lisa Bissinger, Scharfer Blick/Kritikerclub 15.4.2019
Ausgeblasen, totgefickt: Macbeth
»Ein großes Lob den Darsteller*innen: An diesem Abend stehen einige der besten Schauspieler*innen des Ensembles auf der Bühne und man erfreut sich … an ihrem Können: Christoph Türkay und Daniel Mühe beweisen große Wandlungsfähigkeit, Türkay überzeugt besonders als Mörderclown, Mühe als Malcolm. Volker Muthmann und Judith Strößenreuter haben als Macbeth-Paar stimmlich einiges auszuhalten und meistern ihre Partien mit Bravour. Gabriel von Berlepsch scheint die humorige Rolle des Banquo wie auf den Leib geschneidert – damit hätte er zumindest, wenn schon kaum bis keine Kleidung, irgendetwas an. Besonders positiv fällt einmal mehr Florian Donath auf – die Präzision und Vielgestaltigkeit, die er an den Tag legt, ist in jedem Augenblick höchst beeindruckend.« Marcel Lorenz, unddasleben.wordpress.com 14.4.2019