Ins Netz gegangen 24.2.2024
Anfang und Ende des Anthropozäns
Komödie von Philipp Löhle
Swantje Plunder, Frau Rebecca Klingenberg / 27, Nachbarin, Taivo Tamm Paul Trempnau / Nachbarin 99, 42, Journalistin Stella Maria Köb / Kollege, Pilot, John Allen Chau Bastian Mulisch / 65, 211, Tochter, Girl Judith Strößenreuter / 307, Pförtner*in, Cop, Sohn Leonard Wilhelm
Regie Philipp Löhle / Bühne Thomas Rump / Kostüme Hella Prokoph / Dramaturgie Mathias Heid
„Anfang und Ende des Anthropozäns“ am Deutschen Theater in Göttingen
HNA, 28.2.2024
Vielleicht ist das die Lösung – den Atommüll ins All zu schießen? Die Bedrohung einfach auszulagern und zu vergessen? Da doch der Mensch ohnehin überzeugt ist, die Kontrolle zu haben, über die Erde, die Natur, die Technik – warum also nicht?
Hier aber geht alles schief. Die Rakete mit der gefährlich strahlenden Fracht explodiert, radioaktiver Fallout rieselt auf den Globus, die Folgen sind fürchterlich. Über lange Strecken der absurden Komödie »Anfang und Ende des Anthropozäns« von Philipp Löhle fallen ohne Unterlass bunte Papierschnipsel hinab.
Der Autor selbst hat das kluge, unterhaltsame Stück am Samstagabend im fast ausverkauften Deutschen Theater in Göttingen auf die Bühne gebracht. Seine fast zweistündige Inszenierung wurde mit großem Beifall gefeiert.
Das Geschehen als Endlosscheife
Angelegt ist sie als Endlosschleife – als die Zuschauer die fast 500 Sitze einnehmen, ist das Geschehen auf der Bühne bereits im Gang, am Ende geht alles von vorn los.
Löhle, der schon mehrmals am DT engagiert war (»Bombe!«, »Der Hund muss raus«), verlegt seine Komödie über Größenwahn und Gleichgültigkeit in eine Zukunft, die gar nicht allzu fern scheint – denkt man beispielsweise an die Überwachung in China.
Die Menschen sind abhängig von flachmanngroßen grauen Geräten mit Antennen, die ihnen alles abnehmen. Ihre Verdummung und Alltagsuntauglichkeit ist so weit fortgeschritten, dass ein undurchsichtiges Programm zwei Menschen auserwählt und zusammenspannt, die durch Widerspenstigkeit aufgefallen sind – vielleicht wird der Niedergang aufgehalten, wenn sie ein Kind zeugen?
US-amerikanischer Mr. Everybody in Jeans
Wissenschaftlerin Swantje Plunder (Rebecca Klingenberg) ist auf die Idee mit dem Atommüll im All gekommen. Ihr Mann Taivo Tamm (Paul Trempnau) wird zum Verräter und arbeitet an alternativen Methoden der Energieerzeugung – bis ihn das Rotorblatt eines Windrads trifft und zerteilt. Das steckt nun im Boden wie »Kunst am Bau«. Swantje sinniert an der Unglücksstelle auch darüber, wie alles begann.
Auf der Fahrt im Mietwagen zu einem Kongress hatten sich beide kennengelernt – und einen Jungen auf seinem BMX-Rad überfahren, ohne es zu merken. Blitzschnell springt die Handlung zu dessen Familie in »Santa Irgendwas« irgendwo in der endlosen Einöde der USA.
Bastian Dulisch spielt einen US-amerikanischen Mr. Everybody in Jeans, Holzfällerhemd und mit Baseballkappe (Kostüme: Hella Prokoph), der mit dem Tod des Sohns nicht fertig wird und zur Inselwelt der Andamanen reist, wo das indigene Volk der Sentinelesen ohne Kontakt zur Außenwelt lebt.
Sechs Schauspieler wechseln höchst geschwind die Rollen
Das phänomenale Ensemble springt blitzschnell zwischen den surreal-abgedrehten Handlungsebenen und den unterschiedlichen Zeiten, die mit überbordender Fantasie auf so witzige Weise verschränkt sind, dass sie elegant ineinander übergehen.
Sechs Schauspieler – zu ihnen zählen auch Leonard Wilhelm, Stella Maria Köb und Judith Strößenreuter – wechseln höchst geschwind ihre schrillen Rollen. Autor und Regisseur Löhle spielt geschickt und sarkastisch mit Sprach- und sonstigen Klischees und dem Einsatz von Musik, ob sphärische Klänge oder Richard Strauss’ »Also sprach Zarathustra«.
Wenige Accessoires genügen (Bühne: Thomas Rump), dass wunderbar groteske Miniaturszenen gelingen – ein interesseloser Pförtner mit einem roten Alarmknopf, ein einsamer Cop auf der Suche nach Nähe oder der Cocktailempfang beim Kongress, als sich die tanzenden Forscher auf die Pelle rücken und auch emotional nahe kommen.