Haus
Liebes Publikum!
Wozu braucht es eigentlich Kultur?
Wir leben in Umbruchzeiten, die Welt verändert sich in rasendem Tempo während in unserer Gesellschaft die Sehnsucht nach Verharren immer größer zu werden scheint. In Goethes »Faust«, der ebenfalls in einer Epoche der Transformation entstand, hätte der Teufel gewonnen, wenn Faust sich in einem Augenblick zu einem »verweile doch, du bist so schön« hätte hinreißen lassen. Hat er aber nicht: Goethe begreift den Willen zur Veränderung als Teil der menschlichen Existenz. Die Annahme, dass das Ende der Geschichte erreicht sei, wäre ihm fremd gewesen. Damit Veränderung aber positiv wahrgenommen und gestaltbar wird, braucht es eine Vorstellung von der Zukunft. Sie zu entwerfen, war in unserer Kultur immer schon eine Aufgabe der Künste. Im Augenblick der größten Verwirrung suchen wir nach Orientierung und Halt.
Wir brauchen die Kultur zum Erhalt der Demokratie. Ich freue mich, Sie im Deutschen Theater Göttingen begrüßen zu können.
Erich Sidler
Wir erleben Inszenierungen von Politik, die uns handlungsunfähiger denn je zurücklassen. Die Suche, das Überschreiben der altbekannten Geschichten, um neue zu finden, überhaupt das Erfinden, erfährt plötzlich den Makel des Erratischen. Dabei sind es doch die Unklarheit, der Umweg, die uns neue Varianten unserer Selbst erst entdecken lassen. Für Walter Benjamin war die Sache klar: »mit jeder Gegenwart werden die alten Werte älter; was Schwungkraft war, wird Trägheit, Geist wird Dummheit«.
Lassen Sie uns gemeinsam den Umweg hin in die Zukunft nehmen – nicht, indem wir flüchten vor Schicksal und Zeit, sondern den Blick hin wenden in die Weite, die sich noch immer auftut, wenn wir versuchen, mittels des Zukünftigen unsere Geschichte zu verstehen. Vielleicht ist es die einzige Aufgabe unserer Generationen, die nächsten in den Stand einer nachhaltig verantwortungsvollen zu setzen – uns zu fragen, wem wir die Erzählungen von Abgrund und Tradition überlassen wollen. Versuchen wir uns miteinander am Finden und Verlieren von Gewissheiten, der Lust am Rollen- und Perspektivwechsel – wir freuen uns auf die Reise hin in die neue Spielzeit 2025/26!
Ihre
Schirin Khodadadian