Theater einBLICK

25.05.2022

Das letzte Haus

Franziska Sordon hat für den hauseigenen Kritikerclub des Deutschen Theater Göttingen, der »Scharfe Blick«, die Premiere der Uraufführung »Das letzte Haus« am 20. April 2022 in der dt.x GVZ-Halle besucht.
Das letzte Haus
Zum Stück

Irgendwo zwischen Rummel, Zirkus und Parlamentshaus lässt sich die Stimmung dieser interaktiven Aufführung verorten, die sich in verschiedene Phasen unterteilt. Wir befinden uns nicht im Deutschen Theater Göttingen, sondern auf der Probebühne am Güterbahnhof und erproben gemeinsam mit den Schauspieler*innen eine Theaterform der etwas anderen Art; anderes als klassischerweise zurückgelehnt in rote Plüschsessel.

 

Zu Beginn des Abends kommen wir Zuschauer*innen in einen großen Raum, in dem viele bunt gekleidete Wesen umeinander schwirren. Es herrscht eine allgemeine Vorbereitungsstimmung; es wird getänzelt, sich aufgewärmt und geschminkt. Jede*r Gast bekommt einen Namen für den Abend. Ziel des spielerischen Abends scheint es, ein Parlament zu gründen und Delegationen von Vertreter*innen für die Biodiversität zu bilden. Tiere, wie z.B. der Beluga Wal oder Quallen sowie nicht-menschliche Lebewesen sollen im Parlament des letzten Hauses vertreten sein, neue Manifeste schreiben und Gesetzesentwürfe verabschieden. Jede*r Zuschauer*in und Mitmacher*in bekommt an unterschiedlichen ›Rummelständen‹ unterschiedliche Aufgaben, jede*r von uns erlebt etwas anderes, je nachdem wo man sich im Raum bewegt.

An diesem Abend heiße ich Bounty und werde von Uwe in der Anlage der Sprechgelegenheiten herzlich begrüßt. Uwes Motto gefällt mir: Wenn Plan A und B scheitern, dann hat das Alphabet noch 24 weitere Buchstaben in petto! In der ersten Phase bekommen alle unterschiedliche Aufgaben. Bei erfolgreicher und auch bei nicht erfolgreicher Vollendung der kleinen Übungen, die von Gedichte vortragen bis hin zum Weingläser zum summen bringen reichen bekommen wir Abzeichen, die wir uns an die Blusen und Krawatten heften können.
Eine meiner Aufgaben besteht z.B. darin, einen Kauderwelschtext zu verstehen, und jemandem anderes aus dem Publikum vorzutragen. In der Welt, in der wir uns am Theaterabend bewegen, gibt es Tiere und Menschen wobei das Ziel ist, eine gemeinsame Sprache zu finden und Regeln zu bilden, die den Erhalt der Vielfalt unseres Planeten sichern sollen. Zwei der Menschen sprechen mich im Verlauf des Abends an und verraten mir ein Passwort, mit dem ich, ihrer Einladung folgend, in ein Séparée gelange. Im Séparée wird mir zu Essen und zu Trinken angeboten. Herz und Seele, meine Gastgeber, betonen, dass sie nach dem Menschlichen im Menschen suchen. Je mehr Menschlichkeitspunkte gesammelt werden, desto mehr darf man in ihrem Séparée erleben. Ich werde gebeten, eine Zeile aus einem meiner Lieblingslieder zu zitieren: »Like a bridge over troubled water«. Um zehn Menschlichkeitspunkte zu erlangen, laufen Herz, Seele und ich wie Schildkröten schleichend und mit dem Kopf wackelnd durch das allgemeine Gewusel im Hauptraum und rufen dabei immer wieder »Like a bridge over troubled water«. Der blaue Boden des Hauptraumes wirkt dabei wie Wasser und wir paddeln wild fuchtelnd mit den Armen.

Der Theaterabend wird zu einem individuellen Spiel. Alle Zuschauenden und Mitmachenden erleben unterschiedliche Eindrücke, habe verschiedene Interaktionen mit ihren Mit-Menschen und Mit-Tieren. Zuschauer*innen verwandeln sich im Laufe des Abends fiktiv in Tiere und vertreten sie in der letzen Phase im Parlament, wo wir die Zukunft der Demokratie erproben wollen und diskutieren, wie sich alle Lebewesen wohl fühlen können. Es werden Fragen der Bürger*innenbeteiligung aufgeworfen. Wir machen uns gemeinsam als Vertreter*innen von Menschen und von Tierarten Gedanken, was ist verbesserungswürdig an unserer Demokratie?

Dieses Theaterstück zum Mitmachen ist ein strukturiert inszeniertes, gleichzeitig spontanes Gefüge aus schön arrangierten Zufällen. Jede:r darf so viel oder wenig mitmachen und einbringen wie gewünscht. Allerdings sollte man sich schon ein bisschen auf die Theaterform der etwas anderen Art einlassen können. Erfrischend, belebend und spontan; mit vielen Inhalten, die zum Nachdenken anregen! Ich komme interessiert aus diesem Theaterabend. Gerade nach den langen Corona Jahren ist die Interaktion und das gemeinsame Spiel mit Wildfremden ein Gewinn.