Theater einBLICK

19.05.2023

Einzigartig chaotisch.

Ronja Kirschke hat für den hauseigenen Kritiker*innenclub des Deutschen Theater Göttingen, der »Scharfe Blick«, die Premiere »Die Verwandlung« besucht.
Die Verwandlung
Zum Stück

In »Die Verwandlung« von Philipp Löhle nach Franz Kafka wird den Zuschauenden eine äußerst unterhaltsame Inszenierung mit einer herrlich chaotischen Handlung dargeboten, die großartig anzusehen ist. Die Inszenierung im Tim-Burton-Style (Bühne, Kostüme und Käfer: Thomas Rump) zieht die Zuschauenden förmlich in die kleine Welt der Familie Samsa. Abweichend von Kafkas Vorlage beginnt Löhle die Inszenierung mit einer stummfilmartigen Rückblende, in der dargestellt wird, wie Sohn Gregor (Lukas Beeler) den Vater (Roman Majewski) als Ernährer der Familie ablöst. Das tonlose Ensemble überzeugt mit überzogenen Gesten und einem großartigen Schauspiel. Fünf Jahre später finden wir uns im Wohnraum der Familie Samsa wieder. Die Mutter Samsa (Judith Strößenreuter) wundert sich darüber, dass ihr Sohn verschläft und kurz darauf entdeckt die Familie, dass sich Sohn Gregor in der Nacht in einen Käfer verwandelt hat. Mutter, Vater, Schwester (Gaby Dey) und Dienstmädchen (Anna Paula Muth) reagieren fassungslos und das Chaos nimmt seinen Lauf. Spannend ist, dass die Geschichte um Gregors Verwandlung ausschließlich aus der Perspektive seiner Familie erzählt wird. Eingesperrt und versteckt in seinem Zimmer lässt die Familie Gregor kaum Raum sich ihnen mitzuteilen, von Gregors innerer Gefühls- und Gedankenwelt erfährt das Publikum wenig. Dennoch wirkt der Käfer zwischenzeitlich menschlicher als Gregors Familie und die Untermieter (Lukas Beeler, Daniel Mühe, Florian Donath), die die Familie aus finanziellen Nöten in ihrer Wohnung aufnimmt. Durch den ständigen Wechsel von Comedy- und Horrorelementen macht »Die Verwandlung« dem Genre der Horrorkomödie alle Ehre und gibt einen wunderbar schrecklichen Eindruck in menschliche Abgründe. Ronja Kirschke, Scharfer Blick/Kritiker*innenclub, 17.5.2023

 

© Thomas Müller