Das Stück von Henrik Ibsen wurde vor 144 Jahren uraufgeführt. In der Inszenierung am Deutschen Theater Göttingen besticht das gesellschaftskritische Stück auch heute noch durch Aktualität, Humor und sich steigernde Spannung.
Nora zahlt jahrelang Schulden ab, die sie aus Liebe zu ihrem Mann Torvald aufgenommen hatte, um sein Leben zu retten. Dafür hat sie eine Bürgschaft mit der gefälschten Unterschrift ihres Vaters unterzeichnet in dem naiven Glauben daran, dass sie dazu alles recht der Welt hat. Aus Unachtsamkeit – um ihrer Freundin zu beweisen, wie geschäftstüchtig sie ist und was sie geleistet hat – gesteht sie ihr stolz den Schwindel und bittet um Verschwiegenheit. Denn Torvald darf aufgrund seines Stolzes, seiner moralischen Haltung und seinem männlichen Selbstwertgefühl nie etwas davon erfahren. Als der Rechtsanwalt Krogstadt, bei dem sie sich das Geld geliehen hat, droht, ihrem Mann alles zu verraten, nimmt die Katastrophe ihren Lauf. Nora bekommt erste Selbstzweifel und ihre Naivität fängt an zu bröckeln. Sie wird sich ihrer Rolle bewusst als Mutter, Tochter, Ehefrau, Puppe in der männlich dominierten Weltordnung, die sie bisher auch gestützt hat. Damit leitet sich ein emanzipatorischer Prozess ein und in einer brillanten Choreografie zeigt Gaia Vogel als Nora ihr ganzes Dilemma: Enttäuschung, Wut, Zorn, erotische Verführung und rebellierende Kräfte, die zu einem glaubwürdigen radikalen Schluss führen.
Begeistert an dieser Aufführung hat mich die leidenschaftliche, mitfühlende, dramatische Spielweise der Schauspieler*innen, die als Team so gut im Zusammenspiel waren, dass ich fast nicht glauben konnte, dass es der Originaltext von Ibsen war. Man konnte sich nicht zurücklehnen, sondern war unmittelbar berührt. 2.10.2023
© Thomas Müller