Sommerempfang

Zukunft gestalten
Extra
Premiere 23. Juni 2022
Dauer 90 Minuten
Ivica Fulir – Zukunft gestalten

Sehr geehrte Besucher*innen, sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin Broistedt, sehr geehrter Herr Landrat Riethig, sehr geehrte Mitglieder des Stadtrates und des Kreisrates, sehr geehrte Frau Hinz, sehr geehrter Herr Sidler,
Ihnen allen ein herzliches Grüß Gott.
Den meisten von Ihnen bin ich ein Unbekannter, daher stelle ich mich kurz vor: Ivica Fulir, Technischer Direktor am Staatstheater Karlsruhe und dort unter anderem verantwortlich für das NEUE STAATSTHEATER KARLSRUHE, womit gemeint ist: Neubau und Sanierung des Theaters. Direkt vorher war ich in gleicher Aufgabe in Heidelberg tätig, wo heute, seit 2012, ein neu gebautes und saniertes Theater steht. Nicht erst bedingt durch diese konkreten Aufgaben beschäftigt mich seit langem eine Frage. Und diese Frage ist der Grund, warum ich heute, auf Einladung von Frau Hinz und Herrn Sidler, zu Ihnen sprechen darf.

Theater ist gestaltetes Spiel bei dem wir als Gesellschaft unser eigenes Handeln betrachten. Das Spiel auf der Bühne zeigt uns Vergangenes, Aktuelles oder auch Kommendes. Dafür braucht man Räume, die dieses Spiel im täglichen Wandel neu ermöglichen, diese Räume kennen Sie – die Bühnen des Deutschen Theater Göttingen.
Wenn die Theatermitarbeiter*innen in Göttingen das große Glück haben öfter für Sie spielen zu dürfen dann ist Ihnen ihr Theater ein vertrauter Ort von dem Sie als Räume mindestens das Foyer, die Zuschauerräume und die Bühnen kennen und hoffentlich schätzen, auch wenn Sie vielleicht an der einen oder anderen Stelle die Notwendigkeit sehen etwas zu tun. Ich kann Ihnen sagen ein Theater hat viel mehr Räume hinter der Bühne als vor der Bühne und ich kann die zu ändernden Notwendigkeiten hier nicht aufzählen, dafür ist die Zeit zu kurz, aber die Zahl ist hoch. Und die betrieblichen Abläufe sind komplex.
Wie Sie vermutlich auch wissen muss das Deutsche Theater Göttingen saniert und erweitert werden. Und die Frage dabei ist in Göttingen die gleiche wie in Heidelberg, Karlsruhe oder an jedem Ort an dem Theater gemacht wird:
Was ist das Theater von morgen?
Und mit dieser Frage meine ich nicht das Ergebnis des theaterbetrieblichen Handelns, der Theateraufführung, für die Sie hoffentlich Eintrittskarten erwerben. Ich meine diese Frage im Sinne des Ortes eines Theaters für Alle – auch und unbedingt für diejenigen welche keine Theaterkarten kaufen.
Die einfache (?) Antwort ist: Machen Sie das Deutsche Theater Göttingen zu einem ›Dritten Ort‹. Was ist damit gemeint? Schöpfer dieser Idee eines ›Dritten Ortes‹ ist der Stadtsoziologe Ray Oldenburg nach seiner Definition sind ›Dritte Orte‹ – nach dem eigenen Zuhause als ›Erstem Ort‹ und dem Arbeitsplatz als ›Zweitem Ort‹ – öffentliche Orte, Räume der Gesellschaft. Sie sind offen, für jedermann zugänglich, gratis zu nutzen, Orte, wo man alleine hingehen kann, wo man sich auskennt, wo man deinen Namen kennt und wo man selber eine Rolle spielen kann. Orte, die man für sich in Besitz nehmen kann.
Als Stadtsoziologe hat Ray Oldenburg dabei nicht das Theater in sich betrachtet und ich möchte ihn daher ergänzen. Wenn Sie das Engagement und die Arbeitszeiten von im Theater Tätigen kennen, dann wissen Sie: für die Mitarbeiter*innen eines Theaters ist das Theater zwar Arbeitsplatz und somit ›Zweiter Ort‹ aber meist auch ›Erster Ort‹. Das Theater ist uns im Theater Tätigen auch Zuhause – in Addition ergibt sich: ein Theater sollte allen am Theater Tätigen selbst ›Dritter Ort‹ sein. Um es damit auch zum ›Dritten Ort für Alle‹ machen zu können.
Was braucht ein Theater baulich, um dies einzulösen? Auch dafür gibt es eine Antwort und hier zitiere ich die Werkstattleiterin in Karlsruhe, Almut Reitz, eine hoch qualifizierte, talentierte Frau, die sich das Theater, an dem Sie arbeiten will, aussuchen kann und die seit dieser Spielzeit Karlsruhe gewählt hat. Ihre Antwort auf die Frage im Einstellungsgespräch, warum Sie in Karlsruhe arbeiten wolle: Weil die Werkstätten im Haus sind. Diese Antwort sagt alles – am Theater arbeitet man nicht wegen der tollen flexiblen Arbeitszeiten oder der Höhe der Gage. Man arbeitet am Theater wegen der Begegnungen, zunächst untereinander und dann in der Folge auch wegen der Begegnung mit Ihnen.
Theater als Arbeit ist weit überwiegend ein Prozess, Suche, Labor, Versuch, Irrtum und Korrektur. Dies gilt auch dort, wo vermeintlich auf Bestellung gearbeitet wird, in den handwerklich tätigen Gewerken, wo künstlerische Ideen als Bühnenbild, Kostüm, Maske oder Requisit gebaut, gemalt, genäht oder erfunden werden. Eine Idee für eine Inszenierung ist kein abgeschlossener, geplanter, konkret und detailgenau definierter Arbeitsauftrag durch Ingenieur*innen. Die Idee von Künstler*innen zu einer Inszenierung ist vielmehr der Beginn eines gemeinsamen Weges, eines miteinander Spielens, welches an einem konkreten Zeitpunkt, der Premiere, öffentlich wird als gestaltetes Spiel. Wenn Sie uns in unserem Handeln auf der Bühne betrachten, dann beobachten Sie uns beim Spielen. Dieses Spiel wird dann am schönsten, wenn Alle im Theater Tätigen zeitgleich auf demselben Spielplatz spielen. Wenn niemand vom Spiel ausgeschlossen ist, haben alle am meisten Spaß. Bitte entnehmen Sie dieser Aussage nicht, dass Theaterarbeit einfach ist und konfliktfrei oder ohne große Anstrengung aller Beteiligten geschieht. Nein, unser Spiel ist echte Arbeit und macht viel Mühe. Sie haben hier in Göttingen auf dem Gelände des Theaters ausreichend Fläche, um alle Funktionen des Theaters vor Ort zu vereinen.
Nutzen Sie diese Chance und geben Sie allen am Theater Beschäftigten die Chance im Theater, statt für das Theater zu arbeiten. Dies macht, trotz eventuell geringfügig höherer Investitionskosten, auch betriebswirtschaftlich Sinn, nachhaltiger ist es sowieso. Jedes Theater arbeitet wirtschaftstheoretisch nach dem Maximalprinzip: Aus gegebenen Mitteln das maximale Ergebnis erzielen. Wenn Sie ein Theater auf mehrere Standorte verteilen, ist dies nur unter großen Verlusten umsetzbar und viel Arbeitskapazität hoch qualifizierter Mitarbeiter wird, statt in das das Produkt in Transporte und Termine gehen. Warum ist das so? Ich wiederhole: Eine Idee für eine Inszenierung ist kein abgeschlossener, geplanter konkret und detailgenau definierter Arbeitsauftrag. Es ist eine Zielrichtung und erst auf dem gemeinsamen Weg wird das Ziel definiert. Die Prozesse in der Entstehung einer Premiere wiederholen sich zwar in der Reihenfolge ihrer Handlungen: Idee, Lösungssuche, Versuch, Probe, Irrtum, Korrektur, Probe, anderer Irrtum, erneute Korrektur, Probe usw. bis zur Premiere. Das was Sie in einer Premiere betrachten, ist beinahe immer unfertig, es ist meist ein durch zeitbedingten Ablauf in Betrieb genommener Prototyp, der sich übrigens auch nach der Premiere weiterentwickelt oder repariert wird. Wer das nicht glaubt: Besuchen Sie eine Premiere und kommen Sie nach einigen Monaten wieder, um die gleiche Aufführung nochmal zu sehen – das Spiel, das Sie dann betrachten, ist das gleiche und doch ein anderes, der Prototyp hat sich fortentwickelt. Wenn wir dieses Ergebnis dann identisch in Serie herstellen würden, dann könnten wir wirtschaftstheoretisch gesehen im Minimalprinzip agieren: Ein klar definiertes Ziel mit geringstmöglichem Aufwand erreichen. Dann wäre das was wir tun aber nicht mehr Prototyp.
Wir sind als Theater zugegebenermaßen nicht wirtschaftlich im Ergebnis – aber sehr wohl wirtschaften wir sehr gut und versuchen mit dem, was Sie uns an Mitteln zur Verfügung stellen, das bestmögliche Ergebnis zu erzielen. Wenn Sie Theater auf mehrere Standorte verteilen, dann bedeutet dies für das Ergebnis immer Verlust: Transporte sind leere Zeit und machen niemandem Freude. Sie tragen auch nichts zum Ergebnis bei – sie sind einfach nur notwendig. Und der dabei gemeinsam gegangene Weg wird kürzer, die Zahl der Begegnungen wird kleiner. Wer nicht im Theater arbeitet, sondern außerhalb hat nur einen ›Zweiten Ort‹, den Arbeitsplatz. Kunst als Arbeit sollte aber immer auch ›Dritter Ort‹ sein. Daher auch die klare Antwort von Frau Reitz, warum Sie in Karlsruhe arbeitet. Sie will nicht für das Theater arbeiten, sondern im Sinne des Wortes im Theater. Wenn Sie Ihr Theater in Göttingen aufteilen, dann werden Sie als Arbeitgeber weniger attraktiv – wollen Sie das? Ich glaube nein. Wollen Sie für ihre finanzielle Unterstützung des Theaters weniger Ergebnis als möglich? Ich glaube auch hier ist die Antwort nein.

Wenn ich vorhin vom Theater als ›Dritten Ort‹ für Alle sprach, dann kann ich Ihnen auch versprechen Sie können mit den Werkstätten am Theater auch einen Mehrwert für Alle generieren. Menschen wertschätzen das was Sie kennen. Das Handwerk sucht dringend Nachwuchs, Theaterwerkstätten sind ein ideales Schaufenster, um für Handwerk zu werben. Bauen Sie hier vor Ort offen einsehbare und begehbare Werkstätten und Sie werden erleben, dass Menschen sich für Handwerk begeistern und ganz nebenbei auch Neugier auf das Ergebnis wecken. Warum traue ich mich das so konkret zu sagen? Ganz einfach, aus Erfahrung. Das 2012 wieder eröffnete Heidelberger Theater hat genau dies getan. In bester, teurer Innenstadtlage, in einem hoch komplizierten Baufeld, hat man sich im Sinne der Nachhaltigkeit, Minimierung von Transporten, usw. entschieden Theaterwerkstätten zu bauen bei denen man den handwerklich tätigen Mitarbeiter*innen zusieht, wie Sie Theater arbeiten. Und was ist das Ergebnis? Junge Menschen möchten ein Praktikum dort machen, wo diese tollen Dinge gebaut werden, Passanten wollen wissen, wofür diese seltsamen Dinge sind, die dort bearbeitet werden und kommen in die Aufführungen. Fahren Sie hin, besichtigen Sie das Theater Heidelberg oder fahren Sie nach London und schauen sich das National Theatre an, welches mir Inspiration war und ist, wo dies auch umgesetzt wurde. Sprechen Sie mit den Verantwortlichen in Heidelberg oder London und lassen sich berichten, wie sehr es sich lohnt ein Theater ganzheitlich zu bauen und zu betreiben und dabei den Prozess Theater auch handwerklich sichtbar für die Öffentlichkeit zu machen.
Vertrauen Sie den hier vor Ort Verantwortlichen, der Intendant Herr Sidler, die Verwaltungsdirektorin Frau Hinz, der Technische Direktor Herr Weide seien hier stellvertretend für Alle Theatermitarbeiter genannt. Ich erlebe es als großes Glück mit den genannten im Austausch stehen und zu erleben, wie sehr diese Menschen dafür brennen das bestmögliche Theater für Sie Alle zu ermöglichen. Bitte wertschätzen Sie deren Engagement für ein Bauvorhaben, das für die im Theater tätigen erstmal zusätzliche Belastung bedeutet.
Vertrauen Sie Ihnen, wenn Sie ihre Bedürfnisse benennen, alle hier Verantwortlichen wissen was Sie brauchen.
Nutzen Sie die Möglichkeit, ein Bauvorhaben auf den Weg zu bringen der Ihnen am Ende den besten ROI bringt wie es Unternehmensberater ausdrücken würden. Ich sage einfach nochmal: Bauen Sie einen ›Dritten Ort‹.
Zum Abschluss zitiere ich aus einem Brief von Peter Ustinov, auch aus gegebenem Anlass andernorts:
»Es gibt viele Büroblöcke, Garagen, Parkplätze, die jetzt dort stehen, wo einst Theater standen. Theater sind Barometer, die die Gesundheit einer Gesellschaft beurteilen. Wenn Freiheiten bedroht sind, ist das Theater der erste Ort, an dem die Tendenzen zu spüren sind. Im Angesicht der traurig-possenhaften Rolle der Zensur, der endlosen Geschichte der Unterdrückung des Menschen durch den Menschen, ist die Integrität des Theaters konsequenter, gefühlloser und törichter als jede andere geschändet worden. Despoten erkennen die Bedeutung des Theaters deutlicher als diejenigen, für die Freiheit eine Gewohnheit ist - und das ist tragisch. Ein Barometer registriert aber nicht nur schlechtes Wetter. Ein gesundes Theater ist ein Symptom für eine gesunde Gesellschaft.«

Ich beende hier meine Ausführungen. Nicht um die Diskussion zu beenden, ganz im Gegenteil. Ich bin heute Abend hier und freue mich, wenn Sie auf mich zukommen und mit mir in den Austausch kommen.
Ich wünsche Ihnen Allen viel Erfolg bei dem was Sie für die Zukunft auf den Weg bringen, ob im Großen oder im Kleinen.
Jetzt aber wünsche ich Ihnen erstmal: viel Spaß heute Abend!

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