Ins Netz gegangen 7.6.2025

Die Wand

Nach Marlen Haushofer

In einer Bühnenfassung von Daniel Foerster

Die Frau Marie Seiser / Die Katze Lou von Gündell / Luchs Gerd Zinck

 

Regie Daniel Foerster / Bühne und Kostüme Lise Kruse / Dramaturgie Theresa Leopold / Regieassistenz Lillian Sophie Jöster / Soufflage Gerald Liebenow

 

Technische Leitung Marcus Weide / Produktions- und Werkstattleitung Lisa Marlen Hartling / Produktionsleiter (in Vertretung) Henryk Streege / Leitung dt.2 Tobias Gleitz / Beleuchtung Ottmar Schmidt / Ton- und Videotechnik Mathias Schirrmeister / Requisite Sabine Jahn (Leitung), Patricia Opitz (Einrichtung) / Maske Frauke Schrader (Leitung), Renée Donnerstag (Einrichtung), Johanna Pfitzner (Einrichtung), Charlen Middendorf-Tinney (Einrichtung) / Kostümausführung Ilka Kops (Leitung), Heidi Hampe, Stefanie Scholz / Malsaal Eike Hansen / Schlosserei Robin Senger / Dekoration Axel Ristau / Tischlerei Maren Blunk

Ein Dank gilt außerdem Ralf Sepan für die Beratung bezüglich des Holzes und der Kettensäge.

 

Aufführungsdauer ca. 1 Stunde und 50 Minuten, keine Pause

 

Aufführungsrechte  © Ullstein Buchverlage GmbH vertreten durch Felix Bloch Erben GmbH & Co. KG, Berlin

 

Probenfotos

Anton Säckl

 

Bild- und Tonaufnahmen sind während der Vorstellung nicht gestattet.

Marlen Haushofer: Die brillante Analystin einer Gesellschaft, die bis heute ihr zerstörerisches Tun nicht begreift

Dem Rausch des Vergessens nach dem Nationalsozialismus, besonders beliebt in Österreich, setzte sie gallig-entlarvende Texte entgegen, und ihre Beschwörung des Alleinseins entfaltete sie in einer Sprache, die einfach, fast einfältig scheint, deren Sog sich aber unentrinnbar – wie ein Naturereignis – entfaltet.

 

Das kurze Leben der Marlen Haushofer beginnt ländlich-idyllisch am 11. April 1920 im oberösterreichischen Frauenstein als Tochter eines Revierförsters. Das Forsthaus im dunklen, waldreichen Effertsbachtal am Fuße des Sengsengebirges in 500 Metern Höhe wird für Maria Helene Frauendorfer, so ihr gebürtiger Name, der Mittelpunkt der Glückseligkeit.

»Marlen fiel nicht nur als Förstertochter unter den Bauern- und Handwerkerkindern in der Schule auf, sondern auch wegen ihrer überdurchschnittlichen Begabung. Sie war eine Einser-Schülerin. Aber sie war auch rätselhaft. In der Klasse galt sie als Wildfang, bald lustig und zu jedem ›Wirbel‹ aufgelegt, bald reserviert gegenüber den Mitschülern. Sie wirkte oft melancholisch, ihr verträumter Blick erweckte den Eindruck, sie sei nie ganz da«, so Haushofers Biografin Daniela Strigl.

 

Ihre intellektuelle Überdurchschnittlichkeit, ihre filmreife, überbordende, häufig aggressive Phantasie, ihre scharfe Beobachtungsgabe, ihre seismographische Empfindsamkeit, auch ihre subtilen Ängste, die sie in eine ganz einsame Welt, an einen gefährlich klaffenden Abgrund zu treiben drohen, all das macht sie zu etwas ganz Besonderem – das die spätere stille Frau Haushofer vor ihrer Umgebung mit betont bescheidenem Auftreten lebenslang zu kaschieren weiß.

»Alle meine Romanfiguren sind Abspaltungen von mir«

 

Der Eintritt ins Internat im Herbst 1930 ist die große Zäsur ihrer Kindheit. Der Übergang von der vollkommenen Freiheit im und rund um das Elternhaus zum Klosterleben führt zu schwersten Depressionen. Die Vertreibung aus dem Paradies der Kindheit ist nicht in erster Linie ein physischer Vorgang: Für Marlen bedeutete sie den Verlust der existenziellen Intensität, der Lebendigkeit.

 

1939, mit 19 Jahren, legte sie ihre Reifeprüfung ab, ein Jahr nach dem „Anschluss“ Österreichs an Hitler-Deutschland. Anschließend wurde sie von den Nationalsozialisten als „Arbeitsmaid“ nach Ostpreußen verpflichtet. 1940 begann sie in Wien das Studium der Germanistik und Kunstgeschichte, einschließlich Vorlesungen in Geschichte, Philosophie und Psychologie.

Voraussetzung für ein Studium war die Mitgliedschaft beim NSD, dem Studentenbund der NSDAP, der Sportveranstaltungen, Schulungen und Erntehilfseinsätze organisierte. Marlen Haushofer war Mitglied und erfüllte die sogenannte »körperliche Grundausbildung« bei einem Sanitätsdienst; vom Einsatz bei der Erntehilfe 1940 wurde sie befreit.

 

1941 bekam sie ein uneheliches Kind – von einem Medizinstudenten, dem sie in Ostpreußen begegnet war; einen Jungen, den sie für sechs Jahre in fremde Hände gab. Ein Trauma und das Ende ihrer Jugend.

 

1941, gleich nach der Geburt, heiratete sie den angehenden Zahnarzt Manfred Haushofer, den sie in der Straßenbahn kennengelernt hatte, bekam 1943 den zweiten Sohn und lebte seit 1947 mit Mann und den beiden Kindern im oberösterreichischen Städtchen Steyr.

Marlen sucht 1948 Anschluss an die literarische Szene in Wien. Sie nimmt Kontakt mit zwei Förderern junger, literarischer Talente auf, Hermann Hakel der eine, Hans Weigel der andere, die beide erste Texte von ihr in Zeitungen unterbringen.

 

Über ihren ersten Roman schreibt Weigel später: »Er war großartig geschrieben, er war lebendig, plastisch, er hatte alles, was ein Roman haben soll. Aber er erzählte, daß irgendwo einige Frauen sind und (sie) es auf sorgsam ausgeklügelte Manier schließlich dazu bringen, daß ein Mann von ihnen umgebracht wird, ohne daß sie als Täterinnen belastet sind. Ende des Romans. Der klassische ungesühnte Mord.« Hakel charakterisiert sie so: »Marlene H: Försterstochter. Hohe Stirn. Große Traumaugen. 2 Kinder. Ländlicher Dialekt. Schüchtern und verhalten, aber innerlich einheitlich und fest.«

Eine nahezu „jämmerliche“ Situation hat sich einige Jahre zuvor im Familien-Leben von Marlen Haushofer eingestellt. Marlen, die mittlerweile als Assistentin in der Zahnarztpraxis ihres Mannes mitarbeitet, kann seine stadtbekannten Seitensprünge nicht mehr ertragen, und nach gut achteinhalb Jahren Ehe wird sie im Juni 1950 schuldlos von Manfred Haushofer geschieden.

 

In ihrem Leben änderte sich dennoch wenig. Weder zog ihr Mann, wie ursprünglich von ihr verlangt, aus der gemeinsamen Wohnung aus, noch suchte sie sich mit ihren Kindern eine neue Bleibe.

 

Ihr Bruder Rudolf versuchte sie zu überreden, nach Wien überzusiedeln und dort neu anzufangen. Marlen stimmte prinzipiell zu, schob aber den Auszugstermin immer weiter vor sich her, bis der „Aufbruch zu neuen Ufern“ endgültig im alltäglichen „Weiterwursteln“ versandete.

Nach wie vor glaubte sie wohl, ihrem Ex-Mann Rücksichtnahme und Unterstützung bei seinem beruflichen Fortkommen zu schulden. Also versorgte sie weiterhin den gemeinsamen Haushalt und betreute die Kinder, als sei nichts geschehen, half weiterhin, selbstverständlich ohne Entgelt, in der Praxis ihres geschiedenen Mannes mit.

 

Niemand in Steyr erfuhr von dem Geheimnis der beiden, sie lebten ja munter weiter – Zimmer an Zimmer – zusammen. Auch in Marlens Wiener Bekanntenkreis sickerte die Geschichte von der Scheidung erst Jahre später durch.

Sie hat bisher neben »Wir töten Stella« auch vier Hörspiele, zahlreiche Erzählungen und zwei weitere Romane vorgelegt, »Eine Handvoll Leben« (1955) und »Die Tapetentür« (1957), die beide das Thema des nicht gelebten Lebens variieren, eingebettet in schneidende Gesellschaftskritik: das Fremdheitsgefühl in der bürgerlichen Familie, das kräfteraubende Doppelleben einer Frau, die einfach »aussteigt«, deren Flucht glückt, die aber trotzdem nicht glücklich wird.

 

»Nein, sie schreibt keine feministische Emanzipationsliteratur, sie schreibt über ein Leben, ich nenne es: ein Leben ›in Abwesenheit‹. Sie beschreibt den Wahnsinn der Normalität, jener Normalität, die wir so selbstverständlich hinnehmen – hinnahmen, ganz besonders meine Generation. Aber in Bruchteilen von Sekunden blitzt auch in uns Harmoniebedürftigen der Abgrund auf, und deshalb sind wir so betroffen«, schreibt M. Krisper, Zeitgenossin und Essayistin in Steyr.

Haushofers Schlüsselwerk »Die Wand« ist für Krisper »die radikalste Abwesenheitsgeschichte, die ich kenne – um in meinem Deutungsbild zu bleiben. Zum ersten Mal beschreibt Marlen Haushofer eine aktive, eine vitale Protagonistin, die ihr Leben selbst in die Hand nimmt. Und dieses Mal hat sie offenbar auch nicht den Drang, den Text zu verbrennen; im Gegenteil.«

 

Man kann den Roman lesen als die Geschichte einer Entfremdung; eine Parabel der existenziellen Einsamkeit. Oder als Parabel auf eine Atomkatastrophe, denn: Jenseits der Wand sind Menschen und Tiere erstarrt, versteinert, tot. Nur die Pflanzen leben noch. So richtet sich die Bestrebung der Erzählerin nicht darauf, die Wand zu durchbrechen, zu untergraben oder zu übersteigen. Sie ist die wohl einzige Überlebende – zur kältesten Zeit des Kalten Krieges anno 1960.

Zwischen Selbstzerstörung und Überlebenswillen

Man kann »Die Wand« aber auch lesen als Zeugnis einer schweren Depression. Oder als philosophisches Traktat über die Bedingungen der conditio humana unter Quarantäne-Bedingungen. Als eine Art von Experimental-Labor-Situation, ein Kammerspiel über die letzten Dinge, oder auch: als sozialdarwinistisches Heldenepos über eine heroische Einzelkämpferin ohne jegliche stress-puffernde, menschliche Nähe.

 

Doch am ehesten trifft wohl die Deutung des Romans als hellsichtige Zivilisationskritik zu, als eine moderne Dystopie, als katastrophales Untergangsszenario, als die Behauptung weiblicher Stärke und Autonomie in Demut und enger Verbindung mit der Natur.

Marlen Haushofer mag ein Rätsel bleiben. Ihr Klassiker »Die Wand« ist Zeugnis einer individuellen, ambivalenten Lebenssituation zwischen Depression und gesteigertem Lebensgefühl, zwischen Selbstzerstörung und Überlebenswillen – es ist aber vor allem eine genial umgesetzte Vorahnung einer Welt, der zwischen Klimakatastrophe und pandemisch beschleunigten sozialen Ungleichheiten womöglich die Zukunft abhandenkommt.

 

[Aus »Die Schriftstellerin Marlen Haushofer: Wütend, visionär, verkannt« von Elke Pressler, 1921]

Regisseur Daniel Foerster über Marlen Haushofers »Die Wand«

Was interessiert dich besonders daran, diesen Stoff zu inszenieren?

 

Da gibt es verschiedene Aspekte, aber bereits die Ausgangssituation ist sehr spannend, denn die Frau befindet sich in einem Wald in den Alpen und die Welt, wie wir sie kennen in Mitteleuropa, existiert einfach nicht mehr und sie ist damit eingeschlossen in einem Territorium, das außerhalb all des Bekannten existiert. In diesem Territorium ist das frühere Leben und dessen Alltag ausgeklammert, aber eben auch eine Gesellschaft, die die Frau als gewaltsam und dysfunktional wahrgenommen hat. Nun ist sie gezwungen, ein neues Leben für sich zu schaffen, vielleicht ein archaisches, abseits der Zivilisation. Das ist eine sehr spannende Setzung.

Die meisten Menschen würden bei diesem Text einen Monolog erwarten – bei uns wird er mit drei Spieler*innen inszeniert. Welche Bedeutung haben für dich die zwei anderen, abseits der Protagonistin?

 

Einerseits ist die Frau natürlich alleine im Wald, weil es dort keine anderen Menschen mehr gibt, andererseits ist sie es nicht, da sie sich mit ihrer kleinen Familie, wie sie sagt, umgibt: zwei Katzen, einer Kuh und einem Hund. Die zwei dienen dazu, auf der einen Seite diese Tiere und die Beziehung, die sie zu ihnen pflegt, auf eine sinnliche Weise auf der Bühne darzustellen. Eine andere Ebene des Textes besteht darin, dass die Protagonistin zwar sehr viel reflektiert über das, was nicht mehr ist, jedoch gleichzeitig auch versucht, sich gewissen Erinnerungen zu entziehen bzw. die eigene Vergangenheit zu verdrängen. Die anderen beiden Spieler*innen treten in diesen Momenten als Geister aus der Vergangenheit auf den Plan, die sie zwingen, sich zu erinnern, und die sie nun nicht mehr los wird. Sie sind aber auch die Geister, die die Protagonistin rief, Menschen, die sie sich in ihrer Isolation herbeisehnt. Diese Konstellation zwischen den Dreien ermöglicht es, klarer zu zeigen, dass die Frau bereits am Anfang mit einem ganz schönen Paket am Jagdhaus ankam, bevor sie dort strandete.

Der Nachlassverwalter von Marlen Haushofer beschrieb sie einst als »Eine am Leben leidende.« – inwiefern trifft das auch auf die Protagonistin zu?

 

Ich denke, dass das auf jeden Fall auf die Protagonistin zutrifft, auch wenn Haushofer selbst sagte, dass man ihre Figuren nicht mit ihr selbst gleichsetzen sollte. Die Protagonistin ist eine Frau, die an der Welt litt und leidet. In gewisser Weise ist dies womöglich der Grund, weshalb es die Wand gibt, die ich eher als eine Metapher sehe dafür, dass die Frau versucht, sich vor einem Außen zu schützen, auch wenn dies bedeutet, dass soziale Kontakte fehlen. Der Frau gelang es vor der Wand nicht, gesunde, gute Beziehungen oder Verbindungen aufzubauen, einerseits auf einer privaten Beziehungsebene, andererseits aber auch auf einer gesellschaftlichen und politischen Ebene. Die Protagonistin beschreibt selbst, dass die Gesellschaft von einer gewissen Rücksichtslosigkeit getrieben ist, statt von dem Impuls, die Liebe zu verfolgen, dass die Menschen voneinander entfremdet sind, und das ist es, was dieses Leiden am Leben verursacht.