Theater einBLICK

13.04.2023

Der Blick zurück verzeiht – Fragmente der Zärtlichkeit

Ingrid Rosine Floerke hat für den hauseigenen Kritikerclub des Deutschen Theater Göttingen, der »Scharfe Blick«, die Premiere »Fragmente der Zärtlichkeit« besucht.
Fragmente der Zärtlichkeit
Zum Stück

Die Regiearbeit von Moritz Franz Beichl nach den Romanen von Édourad Louis ist nicht so einfach zu fassen. Der Abend bewegt sich kaum merklich durch verschiedene Elemente zwischen dem Umgang mit Homosexualität im Familiengefüge, das Familiengefüge an sich, das Milieu, indem sich das Familiengefüge bewegt, damit verbundene emotionale Konflikte und welche Verantwortung Politik und Gesellschaft bei den Alltags- und Lebensproblemen von Familien tragen. Durchaus nicht wenig, was auf der leeren Bühne von den drei Protagonisten in einer Stunde und 20 Minuten dem Publikum nähergebracht werden soll. Tatsächlich gelingt dies ohne die Zuschauende zu verwirren, weil der Abend wie ein klarer, ruhiger Fluss durch diese Inszenierung mäandert.
Im Großen und Ganzen schwebt im Rückblick des Eddy (Moritz Schulze) trotz schwieriger Familienstruktur aber nicht nur vereinzelt die Erinnerung an zärtliche Momente mit den Eltern (Marco Matthes und Jenny Weichert); sondern der Rückblick wirkt insgesamt verzeihend beim Blick aus der Perspektive eines jungen Mannes. Vermutlich ginge es vielen von uns so, wenn man der Eltern/Kind Beziehung entwachsen ist und wir uns als Erwachsene fragen, warum unsere Eltern so und nicht anders geworden sind und welche Strukturen sie dabei in ihrem Leben beeinflusst haben.
Am Ende bleibt es jedem im Publikum überlassen, was als Essenz mit nach Hause genommen wird; vielleicht werden dabei Einzelne von uns etwas mehr über die Familie und die Strukturen, in die man hineingeboren wurde, nachdenken. Und vielleicht auch mehr verzeihen.  8.4.2023

 

© Lenja Kempf