Fragmente der Zärtlichkeit

Eine Familiengeschichte nach Édouard Louis »Die Freiheit einer Frau« und »Wer hat meinen Vater umgebracht« • aus dem Französischen von Hinrich Schmidt-Henkel
dt.2
Premiere 08. April 2023
Dauer 80 Minuten
Édouard Louis wurde 1991 geboren. 2015 erschien sein erster Roman »Das Ende von Eddy«, der ihn zum Shootingstar der französischen Literatur machte. Seine Bücher sind in 30 Ländern erschienen und werden regelmäßig für die Bühne adaptiert. Louis engagiert sich gemeinsam mit weiteren Intellektuellen wie Didier Eribon und Geoffroy de Lagasnerie für die von der Gesellschaft Vergessenen.
Das Verhältnis zu seinen Eltern beschreibt Édouard Louis als distanziert. Als Kind wünscht er sich andere Eltern als die eigenen. Eltern, die ihn nicht darauf zurückwerfen, dass er anders als die anderen ist. Eltern, vor denen er sich nicht schämen muss und die sich nicht für ihn schämen. Louis wächst in den prekären, gewaltbereiten und bildungsfernen Verhältnissen einer Arbeiterfamilie in der französischen Provinz auf. Ihm selbst gelingt der Absprung aus dem Milieu seiner Kindheit. Er studiert und beginnt sein Leben als Schriftsteller zu verarbeiten und zu reflektieren. Die Erfahrungen des Erwachsenen verändern den Blick auf die Eltern. Bis in die Gegenwart verfolgt er die Spuren ihres Lebens, das von sozialer Ungerechtigkeit und verfehlten politischen Entscheidungen geprägt wurde, von Alkohol und Frustration. »Wer hat meinen Vater umgebracht« ist ein Versuch der Annäherung an den Vater. Louis versucht, das Handeln und Denken seines Vaters zu verstehen, was ihm auf einfühlsame, fast zärtliche Weise gelingt, und formuliert einen harten Vorwurf an die französische Politik. »Die Freiheit einer Frau« beschreibt den Weg seiner Mutter in ein neues Leben. Dieser jüngst erschienene Text von Édouard Louis ist voller Bewunderung für eine Frau und deren Mut, ein neues Leben zu beginnen.
Édouard Louis erzählt in seinen vier bisher erschienenen Romanen anhand der eigenen Biografie von sozialer Ungerechtigkeit und Diskriminierung. Aus immer neuen Perspektiven entführt er die Lesenden in das unansehnliche und randständige Leben der Arbeiterklasse und zeigt eine Welt, die von Politik und Gesellschaft nur allzu gern ignoriert wird. Dabei stellt sich eine Frage, die der Autor nicht zu beantworten weiß: Inwieweit ist es möglich, der Klassenordnung überhaupt zu entkommen, und werden wir von der Gesellschaft nicht immer wieder darauf zurückgeworfen, wo wir herkommen?
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Pressestimmen

Eine Familiengeschichte »Die Darsteller*innen der DT-Aufführung nehmen das Publikum gut mit … Nach gut anderthalb Stunden spendet das Publikum minutenlang den Schauspieler*innen verdienten Applaus.«
Britta Eichner-Ramm, Göttinger Tageblatt 11.4.2023

Besseres Leben gesucht »In der Regie von Moritz Franz Beichl wird die Familiengeschichte in Édouards Erinnerung im Deutschen Theater in Göttingen lebendig. Viel Beifall spenden die Zuschauer für eine Geschichte, die an die Nieren geht ... Einen überzeugenden (Erinnerungs-)Raum hat Robin Metzer (auch Kostüme) für die Familiengeschichte gefunden ... Wunderbar ergreifend die Szene, als Eddy im gestreiften Schwulen-Strickpullover für die Eltern einen seiner Lieblingshits singt und die Kordeln zum Gewand der Sängerin werden. Es ist ein bewegender Abend, der fragt: Ist sozialer Aufstieg wirklich möglich? Édouard Louis ist der Weg gelungen, doch er ist nur einer von fünf Geschwistern. Mit den drei starken Schauspielern hat Beichl bewegende Bilder für den harten Kampf ums Überleben einer armen Arbeiterfamilie in der kapitalistischen Welt gefunden.«
Ute Lawrenz, HNA 19.4.2023

Der Blick zurück verzeiht »Die Regiearbeit von Moritz Franz Beichl nach den Romanen von Édourad Louis ist nicht so einfach zu fassen … Am Ende bleibt es jedem im Publikum überlassen, was als Essenz mit nach Hause genommen wird; vielleicht werden dabei Einzelne von uns etwas mehr über die Familie und die Strukturen, in die man hineingeboren wurde, nachdenken. Und vielleicht auch mehr verzeihen.«
Ingrid Rosine Floerke, Scharfer Blick/Kritier*innenclub 8.4.2023

I’m not crying, you are crying »Moritz Franz Beichl verarbeitet Louis’ fiktive Aussprachen mit den Eltern … zu einem intimen Kammerspiel. Obwohl es Louis’ Worte bleiben, sprechen hier auch die Eltern selbst ... Glaubhaft verkörpert werden sie von Jenny Weichert und Marco Matthes … Mit seiner Inszenierung zeigt Beichl einmal mehr: Gewalt muss nicht ausgestellt werden, denn die besonders gewaltvollen Szenen sind auch besonders still. Ihre Kraft entwickeln sie in ihren ruhigen Dialogen.«
Katja Hagedorn, Scharfer Blick/Kritiker*innenclub 25.6.2023

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