Theater einBLICK

15.02.2024

Auch der Tod kann sich mal irren

Vincent Sartorius hat für den hauseigenen Kritiker*innenclub des Deutschen Theater Göttingen, der »Scharfe Blick«, die Vorstellung »Einszweiundzwanzig vor dem Ende« besucht.
Einszweiundzwanzig vor dem Ende
Zum Stück

82 Minuten bis zum Ende? Im Halbrund des Kellers nimmt das Publikum nah am Geschehen Platz, so dass eine dichte Atmosphäre entsteht. Bernhard (subtil und schüchtern von Gerd Zinck gespielt) saugt seine Wohnung. So dermaßen absurd, dass er jedes Staubkörnchen von seinem geliebten Sessel finden möchte. Er liebt diesen Sessel, weil er ihn an seine Großmutter erinnert. Warum er das tut? Bernhard möchte sterben, weil er keinen Sinn mehr sieht, zu leben, denn er findet, er sei nicht lustig und habe nur Pech in seinem bisherigen Leben. Die guten Seiten sieht er in sich nicht mehr. Daher möchte Bernhard aus dem Fenster springen, wird aber immer wieder gestört. Ein Mann (tragikomisch gespielt von Ronny Thalmeyer) tritt herein und bedroht ihn mit einer Waffe, denn er hat die Aufgabe, Bernhard zu töten. Das Gespräch der beiden, in dem der Eindruck entsteht, dass der schüchterne Bernhard seine Rolle im Leben findet und in der Sprache und Handlung sich dem Mann, der sich als der Tod herausstellt, annähert, führt zu einem Rollentausch. Bernhard, durch den Tod herausgefordert, besiegt ihn schließlich mit der Musik von Barbara und einem immer frecher werdenden Auftreten. Der Tod wird dadurch zur Banalität, der sich nicht mehr ernst nimmt. Das Stück nimmt eine unerwartete Wendung, als der Tod merkt, dass er in der falschen Wohnung ist und im fünften Stock jemanden mitnehmen muss. Clara (grazil gespielt von Gaby Dey) lebt in dieser Wohnung und möchte sich ebenfalls umbringen, weil sie keine Liebe mehr in ihrem Leben erwartet. Bernhard wird für einen Augenblick zum Retter Claras. Sie hat beinahe das Schlusswort, in dem sie ihre Sehnsucht nicht mehr allein zu sein, vorträgt. Ist es das Ende oder geht es danach weiter?
Das Theaterstück, inszeniert von DT-Intendant Erich Sidler, behandelt ein schweres Thema, den Suizid, jedoch mit einer Leichtigkeit, die besonders auf den Text von Mathieu Delaporte zurückzuführen ist. In der dichten Inszenierung geschieht der Witz über eine trockene Herangehensweise, die wundervoll von den Darsteller*innen ausgespielt wurde. Und gleichzeitig auch über das zerbrechliche, das melancholische, aus dem der Tod Bernhard herausholt. Die wunderbare Musik der Chansonsängerin Barbara unterstützt darüber hinaus die Charakterzeichnung von Bernhard und Clara.
Eine andere gesellschaftliche Komponente ist die Einsamkeit, die Bernhard und Clara erleben. Beide suchten nach der Liebe und fanden sie bisher nicht. In unseren Gesellschaften wird die Bedeutung des Themas der Einsamkeit wichtiger, da sie viele Krankheiten verursachen kann und für viele eine Belastung ist. Da wird der Tod zum Schicksals-Bringer, der die beiden zusammenbringt – wenn auch nur für fünf Minuten.
Den Darsteller*innen gelingt eine wunderbar stilllebig, leise und humorvolle Inszenierung, die von den großen Gegensätzen zwischen dem Tod und Bernhard lebt. Sie lässt am Ende ein beeindrucktes Publikum zurück, welches mit großem und langem Applaus den Darstellenden die Ehre erweist. 14.2.2024

 

© Thomas Müller