Theater einBLICK

30.01.2023

Besonders, weil nicht einzuordnen

Ingrid Rosine Floerke hat für den hauseigenen Kritiker*innenclub des Deutschen Theater Göttingen, der »Scharfe Blick«, die Premiere »Hedwig and the Angry Inch« besucht.
Hedwig and the Angry Inch
Zum Stück

Das Premierenpublikum des Deutschen Theaters schien zu wissen, dass sie einen besonderen Abend vor sich hätten. Irgendwie lagen ›gute vibes‹ schon in der Luft, als Tara Helena Weiß (Yitzhak) das Entree, auf das was kommen sollte, machte. Bei der Umsetzung des Buches von John Cameron Mitchell ist Moritz Franz Beichl und Sarah Kurze eine äußerst unterhaltsame, aber gleichzeitig komplexe Inszenierung gelungen. Der ungewöhnliche Mix aus Theater, Dragqueen-Show, Lebensgeschichte und Konzert machen den Abend besonders und besonders spannungsreich.
Ebenso ist der Abend musikalisch nicht auf ein Genre festzulegen. Dennoch wirkt das gesamte Arrangement aus Rock’n’Roll, Punk Rock, Balladen und Country Elementen rund und die »Angry Inch Band«, unter Leitung von Michael Frei, fügt sich als Teil der Erzählung nahtlos ein. Das Bühnenbild mit den gestapelten großen Überseekoffern (Thomas Rump) deutet auf subtile Weise an, dass es auf eine erzählte Reise geht, und schillernde Lichter unterstreichen das glamourhafte der Geschichte. Die Texte der Lieder und auch das Auftreten von Hedwig sind provokant, wie man es von einer Drag Queen erwartet. Und Yitzhak? Im Spiel soll die Figur im Schatten von Hedwig stehen. Dabei trägt Tara Helena Weiß einen wichtigen Anteil zum gelungenen Abend bei. Ihre Palette an Stimmungen sowie ihre Stimme sind beeindruckend.
Hedwig geht von Anfang an sehr vertraut mit den Zuschauenden um. Damit entsteht eine Bindung; die einem für ihre Geschichte besonders empfänglich macht. Beinahe könnte man sich blenden lassen, von der schimmernden Erscheinung der Hedwig, deren Personifizierung Volker Muthmann vollends durchdrungen hat; mit der lässigen, leicht ›über den Dingen‹ stehenden Attitüde erfährt man von der Vielzahl an Strudeln ihres Lebens. Aber, steckt hinter den wunderbar überladenden, bunten, provokanten Kostümen (Astrid Klein) nicht doch ein Mensch voller Verletzlichkeit? Und sind wir nicht alle ein bisschen von allem?
»Hedwig and the Angry Inch« ist pure Unterhaltung und kam am Premierenabend großartig beim Publikum an. Es bleibt zu wünschen, dass die Botschaft dessen, das von der Norm abweichende im Alltag anzunehmen, ebenso offenherzig aufgenommen wird.  30.1.2023

 

© Thomas Müller