Theater einBLICK

14.11.2022

Bis an die Schmerzgrenze

Ingrid Rosine Floerke hat für den hauseigenen Kritikerclub des Deutschen Theater Göttingen, der »Scharfe Blick«, die Premiere »Früchte des Zorns« besucht.
Früchte des Zorns
Zum Stück

Der Regisseur Christoph Mehler lehrt uns in seiner Inszenierung des Stückes »Früchte des Zorns« eines der grundlegenden Wesenszüge des Theaters im Vergleich zu anderen visuellen Medien wie Fernsehen oder Streamingdiensten. Die Zuschauenden, oder hier besser gesagt die Zuhörenden, müssen das Dargebotene aushalten. Man kann nicht einfach den Ton leiser drehen, damit es angenehmer wird. Damit wird dieser Abend im Deutschen Theater Göttingen physisch anspruchsvoll, auf und jenseits der Bühne. Aber, gerade diese Intensität lässt uns die Angst, die Verzweiflung, den Druck der Familie Joad spüren, die auf mehreren Ebenen einen Überlebenskampf ausgesetzt ist und immer wieder an die Grenzen der Hoffnungslosigkeit stoßen. Ja, das tut weh, bis zur Schmerzgrenze. Und hallt in beeindruckender Weise noch lange nach.

Der Roman von John Steinbeck beleuchtet realistisch und faktentreu eine am Ende der 30er Jahre des letzten Jahrhunderts auseinanderfallende Nation, mit steigender Ungleichheit zwischen den unterschiedlichen Gesellschaftsschichten. Zwar steht das Schicksal einer einzigen Familie im Mittelpunkt der Erzählung; es waren dabei jedoch nicht nur einzelne Familien in der Kombination von andauernden Naturkatastrophen und damit verbundenem Spielball eines kapitalistischen Systems betroffen, sondern ganze Bundesstaaten mit ihrer Bevölkerung. Auch dies wird in der Inszenierung deutlich, wenn immer wieder Passagen vom Ensemble vielstimmig dem Zuschauerraum entgegengeschleudert werden. Dabei helfen das reduzierte Bühnenbild und die neutralen Kostüme (Jennifer Hörr) dem Zuschauenden sich auf die Essenz des Gesagten zu konzentrieren, während das ausgezeichnete Sounddesign (David Rimsky-Korsakow) ganz subtil durch den Abend begleitet und eine zeitliche Einordnung der Geschehnisse unterstützt.

Am Ende gebührt aber vor allem allen acht Schauspielenden auf der Bühne sehr viel Hochachtung diese Form des Theaters so emotional auszuleben und uns ein Theaterabend so intensiv erleben zu lassen.