Die Aufführung »Rose Royal«, basierend auf dem gleichnamigen Roman von Nicolas Mathieu, erzählt vom Leben der fast fünfzigjährigen, geschiedenen Protagonistin Rose aus der Arbeiterschicht in Frankreich. Die Schauspielerin Jenny Weichert trägt Roses Geschichte als Soloperformance auf der Bühne vor. Ergänzt wird das Spiel durch musikalische, filmische und fotografische Elemente, die die Inszenierung atmosphärisch verdichten.
Zentrales Thema des Stücks ist die Alltäglichkeit von Partnerschaftsgewalt von Männern gegenüber Frauen. Besonders interessant ist der Fokus, der auf das Bedürfnis betroffener Frauen nach Selbstschutz oder gar Rache gelegt wird: Nach einem Leben voller Gewalterfahrungen beschließt Rose, sich nicht länger schutzlos zu fühlen – sie kauft sich einen Revolver. Sie verknüpft damit die Hoffnung, »der Revolver würde den üblichen Lauf der Dinge stoppen«. Die Angst sollte endlich die Seite wechseln. Als sie Luc kennenlernt, scheint zunächst eine neue Chance aufzublühen. Doch bald entpuppt sich die neue Beziehung als toxisch und gewaltvoll.
Weichert überzeugt nicht nur durch ihre eindrucksvolle Bühnenpräsenz und Textsicherheit, sondern auch mit musikalischem Ausdruck. Mit dem Gesang und Ukulelespiel französischer Chansons schafft sie Momente der Leichtigkeit, die dem Publikum eine kurze Atempause von der drückenden Thematik ermöglichen. Zugleich kontrastiert die Musik Roses von Gewalt überschattetes Leben – und lässt für einen flüchtigen Augenblick so etwas wie Normalität aufscheinen.
Besonders ist die Szene, in der die Regisseurin Schirin Khodadadian dem Publikum auf eindrückliche Weise einen Spiegel vorhält und dabei die gesellschaftliche Kultur des Wegsehens entlarvt: Als Weichert von Lucs Versöhnungsversuch nach der Vergewaltigung berichtet, sammelt sie Blumen aus der Tischdekoration von den Zuschauenden ein – für den Strauß, den Luc Rose zur »Versöhnung« schenkt. Durch diese Geste werden die Zuschauenden ungewollt Teil der Szene. Sie werden in die Inszenierung der Versöhnung eingebunden und so – zumindest symbolisch – zu Mitwirkenden an der Verharmlosung häuslicher Gewalt.
Das Bühnenbild von Carolin Mittler bleibt reduziert und verzichtet bewusst auf starke Symbolik. Stimmung und Atmosphäre werden vor allem durch Projektionen erzeugt. Wiederkehrend verdunkeln vorbeiziehende Wolkenschatten das Bühnenbild – eine bildliche Entsprechung für den Alkohol oder gar die Gewalt, die wie eine dunkle Wolke über der Beziehung zwischen Rose und Luc liegt. Besonders bemerkenswert sind außerdem die Filmprojektionen von Wiebke Schnapper: Sie zeigen alle Schauspielerinnen des Deutschen Theaters, die mit dem Revolver zielen und abdrücken. Verkörpern sie die Vielzahl von Frauen, die – wie Rose – von gewaltvoller Selbstermächtigung träumen?
Diese Bilder nähren bis zuletzt das Bedürfnis der Zuschauenden nach einer Form von Gerechtigkeit – umso härter trifft das Ende: Denn der Wunsch nach Gegenwehr erfüllt sich nicht. Die Angst bleibt auf derselben Seite. Symbolisch verdichtet sich das Scheitern in der Szene, in der ein Weinglas in Weicherts Hand zerbricht – ein starker, stiller Moment.
Dem Team des Deutschen Theaters gelingt mit »Rose Royal« eine eindrucksvolle Inszenierung, die die Zuschauenden mit der Ohnmacht in Fällen partnerschaftlicher Gewalt zurücklässt – ein bitterer und ernüchternder Moment.