Theater einBLICK

25.02.2023

Eine Zeitreise

Lena Sofia Schraml hat für den hauseigenen Kritiker*innenclub des Deutschen Theater Göttingen, der »Scharfe Blick«, eine Vorstellung »Der Hund muss raus – Ein Suchtstück« besucht.
Der Hund muss raus
Zum Stück

Die Inszenierung von Philipp Löhles »Der Hund muss raus« ist für die Zuschauer*innen regelrecht eine Zeitreise. Eine Zeitreise in die Geschichte der Drogen, eine Zeitreise in die Geschichten von Drogensüchtigen. Wenn die Darsteller*innen Jenny Weichert, Paul Trempnau, Christoph Türkay und Gerd Zinck (nicht Schauspieler*innen!) die Geschichten von Süchtigen erzählen, so erlebt man – teils nüchtern, teils humorvoll, aber immer bewegend – kleine Zeitsprünge in die Leben anderer. Parallel dazu erfährt man Anekdoten aus der Zeitgeschichte der Drogen, quasi wie alles begann – vom Mohnsamen zu Morphin – von der Antike bis zur Gegenwart – von einer Pflanze zum Rausch – vom Rausch ins Deutsche Theater Göttingen.
Durch die Einblicke in die Leben der Süchtigen, bin ich am Ende des Abends nicht mehr sicher, wer mir mehr ans Herz gewachsen ist. Die unbekannten Menschen hinter den Erzählungen? Die es hoffentlich irgendwo auf dieser Welt geschafft haben mit der Sucht umzugehen. Oder die Darsteller*innen? Die es geschafft haben diese intimen Erzählungen derart authentisch, respektvoll und mit der richtigen Portion Witz an die Zuschauer*innen zu bringen.
Man hätte Weichert, Trempnau, Türkay und Zinck noch eine ganze Ewigkeit weiter zuhören und zusehen wollen, wenn das nicht eine Reihe weiterer Schicksalsschläge von Süchtigen bedeutet hätte.
Ich sehnte mich danach im Anschluss mit den Darsteller*innen ins Gespräch zu kommen. Ich wollte Fragen stellen, die mich beschäftigten: Wie geht es Euch im Nachhinein? Hat sich Eure Einstellung zu Drogen durch Löhles Werk verändert? Wie denkt ihr persönlich zu dem Thema? Habt ihr Kontakt zu (den) Betroffenen?
Warum genau mir das alles durch den Kopf schoss, konnte ich mir nicht anders erklären, als durch die Erzählkunst und die Charaktere des Ensembles, die es mit einer Prise Improvisation und einer gewissen Lässigkeit schafften »Der Hund muss raus« weniger als Theater und mehr als Natürliches und Nahbares wirken zu lassen.
Durch das eindrucksvolle Bühnenbild mit der goldenen Kronkorken-Wand, welche ich salopp als Biermahnmal bezeichnen würde, und durch die Licht- und Musik-Effekte wird man sich stets bewusst, was im Großen und Ganzen hinter Löhles »Der Hund muss raus« steckt: Der persönliche Kampf mit der Sucht auf der einen Seite – der globale Kampf mit den Süchtigen auf der anderen. Ein politisches Hin und Her zwischen Verboten und Erlaubnissen. Was am Ende bleibt, ist der Mensch, der Mensch der – egal welche Zeit oder Geschichte – konfrontiert wird mit drugs. Medikamente oder Drogen? Gut oder Böse? Hilfreich oder Schädlich? Gesellschaftskonform oder Feind der Gesellschaft? 16.2.2023

 

© Thomas Müller