Alles Lüge und immer wieder wächst das Gras

Ein musikalischer Abend zur deutschen Wiedervereinigung
dt.1
Premiere 21. Oktober 2021
Uraufführung
Dauer 105 Minuten
Mit Texten von Niklas Ritter und Ensemble nach einer Idee von Roman Majewski
Heute, irgendwo im Osten Deutschlands. Auf der Beerdigung ihrer Großmutter treffen sich die Brüder Thommy und Sandro wieder. Seit Jahren haben sie sich nicht mehr gesehen. Obwohl der ältere Thommy früher fast eine Vaterfigur für Sandro war, hat die Zeit nach der Wende sie entzweit. Während Sandro, der die DDR nur als Schüler miterlebte, die neue Reisefreiheit nutzt und sich musikalisch selbst verwirklichen kann, verliert Thommy schon kurz nach dem Mauerfall seinen Job als Baggerfahrer im Tagebau – und den Halt. Seine Freundin Paula verlässt ihn und geht in den Westen. Zwar bleibt er in der Heimatstadt in Ostdeutschland, doch bricht er alle Kontakte ab, auch die zur Familie. In Rückblenden rekonstruieren die zwei Brüder was alles passiert ist, zwischen Mauerfall und heute und wie es zu ihrem Zerwürfnis kommen konnte. Eine Familiengeschichte, die mit den Songs von Gerhard Gundermann und Rio Reiser das (musikalische) Lebensgefühl der Wiedervereinigung Deutschlands einfängt und überprüft, was aus den versprochenen »Blühende Landschaften« geworden ist.

Niklas Ritter
Der 1972 geborene Niklas Ritter wuchs in Westberlin auf und studierte in Leipzig. Seine Arbeiten als Regisseur und Videokünstler brachten ihn unter anderem nach Dessau, Stuttgart, Potsdam, Köln und Dresden. Nach den Inszenierungen »Shockheaded Peter«, »Spring Awakening« und »Die Hauptstadt« wird er mit »Alles Lüge« in Göttingen zum ersten Mal nicht nur Regie führen, sondern auch eine Geschichte erfinden.
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Pressestimmen

Das Publikum jubelte »Dieser Liederabend, der jetzt im Deutschen Theater in Göttingen Premiere hatte, ist wichtig, wenn man die Gefühlswelt vieler Menschen aus den neuen Bundesländern nur ein wenig verstehen will ... Die Stimmungen werden hervorragend von der Musik mit Songs vom Gerhard Gundermann und Rio Reiser sowie der Live-Band (Leitung: Michael Frei) mit Rolf Denecke, Manfred von der Emde, Michael Frei, Hans Kaul/Tilmann Ritter eingefangen. Das gilt auch für die Bühne, auf der ebenfalls eine Mauer fällt, und die Alexander Wolf mit stilechten Requisiten aus einer DDR-Wohnung gestaltet hat. Roman Majewski, Volker Muthmann, Moritz Schulze und Jenny Weichert singen und spielen grandios und wechseln dabei virtuos zwischen den verschiedenen Rollen – vom verbitterten Ostdeutschen, über den überheblichen Wessi bis hin zum Travestie-Trio in einem Kölner Club (»König von Deutschland«).«
Bernd Schlegel, hna.de/lokales/goettingen/ 24.10.2021

Ausländer im eigenen Land »Am Ende der Premiere gab es Standing Ovations ... Was die vier Akteure auf der Bühne besonders auszeichnet: Alle sind sehr musikalisch, alle können hervorragend singen. Mit vielen Nuancen, beileibe nicht nur laut. So artikulieren sie unterhaltsam und zugleich sehr nachdenklich stimmend das musikalische Lebensgefühl dieser Generation, mal aggressiv, mal zart-melancholisch ... Unterstützt werden die Sänger von einer professionellen fünfköpfigen Band, die sich … den Kohlschen Namen „Blühende Landschaften“ gegeben hat, angeführt vom Gitarristen Michael Frei. Die Musiker entwerfen wunderbare Sound-Landschaften für die Songs, setzen scharfe Akzente und sorgen für eine stimmige Balance zwischen Instrumental- und Vokalpart.«
Michael Schäfer, Göttinger Tageblatt 23.10.2021

Zuckerbrot und Tränen »Zu mehreren Terminen kann die ebenso bunte wie nachdenkliche Show nun gestreamt werden ... Michael Frei und seine glänzend aufgelegte Band beherrschen Zuckerwatte-Popsounds ebenso wie die große Klavierballade. Man huldigt der Songwriterkunst von Gerhard Gundermann und Rio Reiser, den wundervollen Liedpoeten aus Ost und West – und die Darsteller beweisen mit nur kleinen Abstrichen ihre Klasse in der ausdrucksstarken Performance. Roman Majewski lässt die Töne hell aufscheinen, ganz zart intoniert er ›Junimond‹ und auch ›Gras‹, ein früher Gänsehautmoment: ›Mutter gab uns ihre Tränen / Und machte uns ein Zuckerbrot‹. Gaia Vogel haut den Ton-Steine-Scherben-Kracher ›Macht kaputt, was euch kaputtmacht‹ mit der Lässigkeit einer Poetry-Slammerin ins Mikro und wird immer kämpferischer im Übergang zum ›Einheitsfrontlied‹. Moritz Schulze sprüht vor Grandezza im Scherben-Hit ›Lass uns ein Wunder sein‹ mit weißem Cowboyhut (Kostüme: Karoline Bierner). Ganz besonders gelingt Volker Muthmann der Rio-Reiser-Sound, dieser irrsinnig schwer nachzuempfindende Schmelz. ›Für immer und dich‹ ist denn auch ein Höhepunkt des musikalischen Theaterabends. Später dann in Depri-Pose mit Frotteebademantel und scheußlichem Unterhemd formt er Gundermanns ›Das war mein zweitbester Sommer‹ zu der betörend-bluesigen Ballade eines Helden der Arbeiterklasse. ›Auf den Reihenhausdach proben Engelschöre / Und meine Alte lacht wenn ich ihr Treue schwöre.‹ Wer im Westen die kitschfreie lyrisch-musikalische Qualität Gerhard Gundermanns noch nicht richtig kennengelernt hat, hat hier die beste Gelegenheit. Die Dynamik des gut 100-minütigen, aus mehreren Perspektiven gefilmten Streaming-Erlebnisses im trödelladen-artigen Bühnenbild von Alexander Wolf entwickelt sich überraschend. Es zeigt sich, dass gerade die zarten, melancholischen Stücke gut über den Bildschirm kommen, viel Kraft entwickeln ... So wird es im Verlaufe des Abends erstaunlich wichtig, dass bei der Aufzeichnung hörbar einige Zuschauer im Saal saßen. Szenenapplaus oder kleine Lacher machen Lust auf Live.«
Bettina Fraschke, HNA 6.2.2021

Stream »Alles Lüge und immer wieder wächst das Gras« »Das Deutsche Theater Göttingen beweist einmal mehr, dass die Kreativität nicht vom Lockdown betroffen ist und bringt im Livestream das Theater nach Hause. So konnte ein bisschen Deutsches Theater Göttingen auf dem Sofa genossen werden ... Die vier Schauspieler*innen zeigen nicht nur, dass sie mühelos fließend verschiedenen Szenen und unterschiedliche Rollen agieren, sondern auch tonsicher singend performen können ... Die Inszenierung überzeugt mit ihrer Liebe für’s Detail und kleinen zumeist absurd-komischen Momenten ... Ein Lob an dieser Stelle auch für Elemente, die das Theater sonst nicht oder in geringerem Umfang zurückgreift: technische Umsetzen, problemloser Stream mit gutem Ton und angenehmer Kameraführung. Insgesamt ist es atmosphärisch zwar nicht ganz ein Theaterbesuch, aber Theater am Bildschirm hat auch seine Vorteile: so saß an diesem Abend jede*r Zuschauer*in in der ersten Reihe.«
Lisa Eisenkrätzer, Scharfer Blick/Kritikerclub 3.3.2021

Wer ist uns und wer seid ihr? »Das Stück benennt das oft Unterschlagene statt nur mit dem Finger auf die Probleme zu zeigen, es urteilt jedoch nicht. Um von einer wirklichen Wiedervereinigung sprechen zu können muss noch einiges passieren, allenfalls kann von einem andauernden Prozess die Rede sein. Dieser muss jedoch aus einer beidseitigen Annäherung bestehen – und dafür müsste ostdeutschen Perspektiven eben Platz eingeräumt werden im öffentlichen Diskurs. Niklas Ritter und das großartige Ensemble tragen mit ihrem Stück einen wichtigen Teil dazu bei. Sie haben einen berührenden Abend geschaffen, der als Einladung zu verstehen ist. Eine Einladung, zuzuhören und mit dem Osten zu sprechen, statt über ihn. Sich mit ihm auseinanderzusetzen ... Den stärksten Moment des Abends bildet Sandro, der die DDR nur als Kind erlebt hat, und der seinen Phantomschmerz beschreibt: ›Ich weiß nicht wo ich her komme. Ich weiß nichts von der DDR. Aber ich trage sie mit mir herum wie eine Narbe, von der ich nicht weiß, woher ich sie habe.‹ ... Der Osten kommt in der westdeutsch dominierten Medienberichterstattung meist nur vor, wenn es um die AfD, Arbeitslosigkeit oder andere Probleme geht. Jenseits davon existiert er nicht, bei der Nennung ›deutscher‹ Städte kommen regelmäßig keine aus dem Osten vor. Der Liederabend des Deutschen Theater Göttingen bringt dieses Missverhältnis etwas ins Gleichgewicht: Gundermann und Reiser begegnen sich auf Augenhöhe. Ihre unterschiedlichen Lebensrealitäten in Ost und West prägten zwangsläufig Inhalt und Stil ihrer jeweiligen Musik. Doch sie ergänzen sich harmonisch: Wo Gundermann melancholisch wirkt, hält Reiser energ(et)isch dagegen. Eindrucksvoll werden ihre Lieder vom Ensemble des Deutschen Theater Göttigen interpretiert, vor allem Gaia Vogels Interpretation von ›Hier bin ich geboren‹ bleibt der Zuschauerin noch lange im Kopf.«
Katja Hagedorn, Scharfer Blick/Kritikerclub 1.4.2021

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