Im Dickicht der Städte

Bertolt Brecht
dt.1
Premiere 15. April 2023
Dauer 105 Minuten
»Glotzt nicht so romantisch!« rief Bertolt Brecht dem Publikum zu und erfand flugs das Epische Theater, um dem Publikum die Flucht ins Sentiment zu verbauen, damit dieses mit mehr Erkenntnis nach Hause gehe. Die umfangreiche Theorie dazu lieferte er gleich mit und seitdem kennen alle, die im Deutschunterricht auch nur ein bisschen aufgepasst haben, den berüchtigten V-Effekt seiner Lehrstücke. Brechts frühe Stücke sind unbelastet von der Theorie. Mit expressivem Sprachgestus beschreiben sie die brachialen Kräfte, die in einer kapitalistischen Gesellschaft wirken und den Menschen zum gnadenlosen Einzelkämpfer machen.
Eines Tages betritt der Holzhändler Shlink in Chicago eine Leihbibliothek und will dem Angestellten George Garga eine Meinung abkaufen. Garga verweigert sich vehement und muss aber bald erkennen, dass Shlink sich längst in seinem Leben eingenistet hat, um ihn in einen Kampf zu verwickeln. Garga verliert seinen Arbeitsplatz, seine Geliebte Jane wird plötzlich zur Prostituierten und seine Schwester Marie arbeitet längst für Shlink. Schließlich nimmt Garga die Herausforderung an und es beginnt zwischen den beiden Männern ein Duell, in dem beide alles einsetzen, was sie besitzen, in dem sie alle Menschen opfern, die zu ihnen gehören. Shlink verliert seine Holzhandlung, Garga landet im Gefängnis. In der letzten Runde scheint Garga die Oberhand zu gewinnen, doch bevor er siegt, bringt Shlink sich um. Ihm ging es nicht um materiellen Gewinn oder einen glorreichen Sieg. Der Kampf allein war sein Ziel.
Die Einsamkeit, in die die Moderne den Menschen treibt, wird in Brechts Frühwerk immer wieder thematisiert. Die prosperierenden Städte, in deren Häuserschluchten ein gnadenloser Kampf um Gewinn und Überleben tobt, in denen Menschen zu bedeutungslosen Teilen von Produktionsketten werden, waren für ihn Synonym dieser Entwicklung. Nur mit dem Gegner lässt sich noch eine emotionale Verbindung aufbauen. Der Wettbewerb entspringt also einer tiefen Sehnsucht, der Einsamkeit zu entgehen.
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Pressestimmen

Zwei Männer, ein Kampf »Ramser hat dieses sperrige Werk souverän auf die Bühne gebracht. Soweit möglich, hat sie die nicht immer klar nachzuvollziehenden Handlungsstränge und Beziehungen mit ihrem Ensemble ausgelotet, gewissenhaft und präzise.«
Peter Krüger-Lenz, Göttinger Tageblatt 17.4.2023

Der Boxkampf des Kapitalismus »Gutes, effektvolles Bühnenbild in Brecht’scher Tradition … Leben das ist das Warten auf den nächsten Schlag.«
Bettina Fraschke, HNA 17.4.2023

Faszinierende Neuinszenierung von Brechts ›Dickicht der Städte‹ im Deutschen Theater Göttingen »Durchweg gelungen und nix zu meckern. So lässt sich Katharina Ramsers Inszenierung zusammenfassen. Der Regisseurin, ihrem Team und dem Ensemble ist es gelungen, just zum 100. Geburtstag von Brechts Drama das in den Vordergrund zu stellen, was über den Tag hinausweist: Abhängigkeiten und Verstrickung in Schuld ... Einhundert Jahre später kann man mit Brecht nicht mehr für Skandale sorgen. Aber die Premiere am Deutschen Theater Göttingen zeigt, dass viel Gegenwart in diesem Drama steckt, weil es die ewigen Themen Macht, Familie, Umgang und Menschlichkeit verhandelt. Das legt die Inszenierung von Katharina Ramser auf beeindruckende Weise offen ... Dramaturgin Sarah Becker ist hier ein Geniestreich gelungen ... Alles in dieser Aufführung arbeitet darauf hin, zur Kernaussage vorzudringen. Nichts lenkt ab. Das Personal wurde reduziert … Das Bühnenbild ist einfach phänomenal ... Katharina Ramser und ihr Team haben Brecht nicht reanimiert. Sie zeigen mit dieser Inszenierung, dass ›Im Dickicht der Städte‹ viel Gegenwart steckt. Das ist eine sehr starke Leistung.«
Thomas Kügler, harzerkritiker.blogspot.com 17.4.2023

Schere, Stein, Papier »Katharina Ramser und ihr Kreativteam finden starke Bilder für das Frühwerk Bertolt Brechts. Es gelingt, die Handlung nachvollziehbar darzustellen und dennoch immer wieder zu verfremden, zum Nachdenken anzuregen. Interessanterweise entsteht gerade in dem Moment die größte Intensität, als die Bühne völlig leer ist bis auf die zwei Protagonisten, die ihren Kampf bilanzieren ... Das Göttinger Ensemble meistert gewohnt gekonnt die körperlich durchaus anstrengende Inszenierung: Alle machen ihre Sache gut an diesem Abend … Volker Muthmann ist als Hotelbesitzer Finnay, genannt ›Wurm‹, herrlich schleimig und wendig und vermag es, seiner Figur in allen Aspekten Erinnerungswürdigkeit zu verleihen. Tara Helena Weiß ist als Marie zerbrechlich und kämpferisch zugleich. Paul Trempnau spielt den George Garga als Getriebenen überzeugend. Christoph Türkay lässt den Holzhändler Shlink in seiner verschlagenen Zugewandtheit und gleichzeitig planvollen Rücksichtslosigkeit plastisch werden. Ein überzeugend spielendes Ensemble und eine streckenweise starke, streckenweise zwiespältige Inszenierung sorgen dafür, dass man Brechts Frühwerk für sich entdecken oder zumindest darüber diskutieren kann.«
Marcel Lorenz, unddasleben.wordpress.com 1.5.2023

Mensch gegen Kapitalismus? Oder Kapitalismus gegen Mensch? »Eins ist durch die Inszenierung von Katharina Ramsers ›Im Dickicht der Städte‹ jedenfalls mehr als deutlich geworden: Brechts (pessimistische) Weltanschauung ist aktueller denn je ... Ob Kampf in Familien, über Macht oder Kapital – das Bühnenbild von Ute Radler, mit Videos eines Boxers von Thomas Bernhard im Hintergrund, machen die Duelle des Lebens bzw. Shlinks (Christoph Türkay) und Gargas (Paul Trempnau) eindrucksvoll ... Während das Stück von Brecht durchaus schwere Kost ist, gelingt es dem Ensemble gewohnt stark die Premiere zu einem spektakulären Abend zu gestalten.«
Lena Sofia Schraml, Scharfer Blick/Kritiker*innenclub 15.4.2023

Der Überlebenskampf des Menschen in Zeiten des wachsenden Kapitals »Das bestimmende Sujet des Dramas ist der Überlebenskampf des Menschen in einem Milieu des wachsenden Kapitals. Verschlungen wird der Mensch von der Gier nach dem Kapital, das in dieser Sehnsucht seine Macht offenbart. In eben dieser Darstellung liegt die Stärke des Stücks, welches die Zuschauer*innen mit einer Welt konfrontiert, welche die ihrige, und ein Leben, welches das eigene sein könnte.«
Katja Hellmys, Scharfer Blick/Kritiker*innenclub 10.6.2023

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